Der Schwarze Block

Es ranken sich viele Mythen um den „Schwarzen Block“ und sein Entstehen.

Die geläufigste Erzählung ist wohl, dass der „Schwarze Block“ bei den Protesten gegen das Bundeswehr Gelöbnis 1980 in Bremen das erste mal in Erscheinung trat und während den Straßenschlachten mit den Bullen, sogleich seine Schlagkraft unter Beweis stellen konnte. Doch es gibt eine kleine, entzückende Vorgeschichte, welche in der Geschichtsschreibung der Autonomen und Anarchist*innen nicht weiter Erwähnung findet und abgesehen von den Beteiligten damals, wohl kaum noch jemandem bekannt sein dürfte. Vier Jahrzehnte später erfreut sich der „Schwarze Block“ rund um den Globus großer Beliebtheit und entwickelt sich mit der Dynamik der Straße ständig weiter. Grund genug also, um ein Blick auf die Geschichte seiner Anfänge zu werfen, erzählt von einem Beteiligten damals.

Vorgeschichte

Zum damaligen Tag der Deutschen Einheit, am 17. Juni, gab es in Frankfurt am Main 1977 einen großen Naziaufmarsch, der nicht verhindert werden konnte. In dem darauf folgenden Jahr sah es nicht besser aus und es kam zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrant*innen. Ein Jahr später riefen große Teile der Gesellschaft, gemeinsam mit den Gewerkschaften, zu einem Sternmarsch gegen die Nazis auf, der von einem großen Bullenaufgebot begleitet wurde und Militante fernhalten sollte.

Nur 40 Km entfernt, in der Landeshauptstadt Wiesbaden, bereiteten sich bereits einige Anarchistinnen und Anarchisten auf den Widerstand gegen die Nazis vor. Aus den Erfahrungen wussten wir, dass es unmöglich sein würde mit genügend Selbstschutz, schlagenden Antworten und der nötigen Sani-Ausrüstung sowie Megaphonen auf der Demo zu erscheinen. Es war Teil der Abschreckungsstrategie, alle radikalen Gruppen, die sich auf dem Campus der Uni in Frankfurt versammeln wollten, gründlich zu durchsuchen.

Mein Freund und ich hatten eine kleine Aufgabe zu erfüllen und sollten uns um das Material kümmern. Doch wir waren es leid uns als Anarchisten hinter einer schwarzen Fahne zu verstecken und unsere „Inhalte“ in die Bewegung einzubringen. Wir verstanden uns als kollektive Anarchisten und der Inhalt waren ja bekanntlich wir, in dem wir uns einmischten und verhielten. Allerdings konnten wir unsere Meinung nie gegen die alteingesessenen Anarchos wirklich einbringen. Sie bestanden auf den klassische Syndikalismus, nur wer arbeitet konnte Teil der FAU/IA werden. Wir hingegen vertraten die Ansicht, dass auch unbezahlte Arbeit wie Hausarbeit, Pflege, Schule, Zivildienst und auch Arbeit suchende Zugang zum Syndikalismus haben müssten. Z.B. Schüler*innen die 8 Stunden am Tag fünf Tage die Woche zur Schule gehen, konnten unserer Meinung nach nicht davon ausgenommen werden. Denn sie leisten eine (unbezahlte) Arbeit und werden für die Interessen von Staat und Kapital ausgebeutet. Auch wollten wir nicht heimlich auf Bewegungen einwirken, sondern uns gleich offen als Anarchisten zu einer emanzipierten, selbstverwalteten Gesellschaft ohne Gott und Staat bekennen. Weil sie das anders sahen, entschlossen wir uns provokativ jede Fahne mit einem weißen Kreis mit einem A zu bemalen und alles in schwarz anzusprühen. Teure Motorradhelme und billige Plastikschilder, die aus den Deckeln der Farbeimer hergestellt wurden, verwandelten sich in schwarze Materie.

An diesem Tag war es heiß, als wir gemeinsam mit etwa 40 bis 50 Leuten aus Wiesbaden nach Frankfurt fuhren. Die Bullen standen bereits an allen Seiten von der Uni und ließen uns nur der Reihe nach durch ihr Spalier laufen. Am Ende waren wir von Kopf bis Fuß durchsucht worden und trafen auf dem Campus ein. Dort schlug uns gleich eine miese Stimmung entgegen, die von Hilflosigkeit und Frust über die Durchsuchungen geprägt war. Die Bullen würden uns bestimmt nicht Richtung Innenstadt los laufen lassen und uns einmachen, wurde vermutet. Etwa 2000 Menschen in dieser bedrückenden Stimmung zu erleben, konnte einem schon Angst machen.

Ein Pfiff signalisierte, dass wir uns kurz zu verabschieden hatten und gleich wieder kommen würden. „Wir hatten noch was zu erledigen!“. Etwa 20 Meter um die Ecke, hinter einer Böschung, befand sich ein Parkplatz der zur Uni gehörte, auf dem ein großes Segelboot stand, in das wir unsere Sachen ein paar Tage zuvor hinein geschmuggelt hatten. Wir liefen dahin und packten unsere Sachen aus, um kurz darauf, wie schwarze Plastikritter, erneut auf dem Campus zu erscheinen. Überwiegend in schwarz und deutlich als Anarchos zu erkennen wurden wir wie Helden gefeiert, denen es gelungen war den Bullen ein Schnippchen zu schlagen. Die Stimmung kippte in Euphorie um und wir wurden gleich nach vorne an die vorderste Front geschickt.

Ich persönlich hatte noch nie einen Integralhelm auf und kam mir noch nie so einsam und verlassen vor, wie unter diesem eingeschränkten Gesichtsfeld. Wir durchbrachen eine Bullenkette und der Tag war insofern erfolgreich, als das der Nazi-Aufmarsch verhindert werden konnte und ich meine Angst besiegte.

Unsere kleine anarchistische Gruppe beteiligte sich oft in Frankfurt an Demos und Aktionen. Unsere besten Freunde waren Leute aus der Ziegelhütte, einem besetzten Haus in Frankfurt. Auf dem Cover von Ton-Steine-Scherben finden sich viele Gesichter wieder. Sie galten im Haus als die Prolls, wohingegen die politischen Sozialisten in den oberen Etagen logierten. Natürlich mussten Aktionen und Demos pünktlich zu Beginn des Fußballspieles fertig sein, das hatte nebst dem Kiffen oberste Priorität! Das war sehr sympathisch, insbesondere, weil sie auf Demos ziemlich schlagkräftig wurden, um zur gewohnten Zeit nach Hause zu kommen.

Mit ihnen und anderen Anarchos aus der Umgebung luden wir zum Treffen ein, um den kommenden 1. Mai 1980 in Frankfurt vorzubereiten. Das war nicht nur ein Tag der Gewerkschaften sondern auch unser Tag! In Chicago wurden viele Anarchisten dafür hingerichtet, weil sie sich für die Einführung des achtstündigen Arbeitstages persönlich eingesetzt hatten.

Wir waren ein halbes Dutzend Leute, die in Frankfurt einen ruhigen Ort zum plaudern suchten. Wir fanden eine Eisdiele in der wir unsere Pläne diskutieren konnten. Wir wurden uns schnell einig, dass wir die Gewerkschaften respektieren und an diesem Tag was eigenes machen wollten. Nach den praktischen Diskussionen ging es auch noch um den Aufruf. Eigentlich war das immer der heikelste Teil, der oft mit vielen Diskussionen durchzogen wurde. Doch wir kamen aus der Praxis und hatten weniger Probleme damit. Auf einem kleinen Flyer, das uns als Flugblatt genügte, stand im Balken vom A die Worte „Anarchie = Freiheit“

Ein Freund fasste unsere Absicht in den Worten zusammen, dass wir es genauso machen wie ihr aus Wiesbaden im letzten Jahr: „Wir bilden einen schwarzen Block!“. Somit konnte auch die Rückseite bedruckt werden mit dem Aufruf: „Kommt alle zum schwarzen Block am 1. Mai Treffpunkt Günthersburgpark um … Uhr“

In unserer Herangehensweise hatte es sich verdichtet nicht auf die Massen zu schauen und zu versuchen sie zu mobilisieren, sondern auf die Anzahl derer, die wir brauchen um unsere Vorhaben umzusetzen. Insofern rechneten wir auch nicht mit mehr als 50 Leuten. Umso überraschter waren wir, als sich an diesem Tag um die 300 Menschen unter diesem Aufruf versammelten. Das war grandios und mehr als wir brauchten, aber keineswegs ein schwarzer Block, sondern ein bunter, sympathischer Haufen aus allen Teilen der antiautoritären Bewegung.

Als die Gewerkschaftsdemo auftauchte, versuchten wir uns einzureihen und stießen auf den Widerstand ihrer verbissenen Ordner*innen. Von wegen Tag der Arbeit und Anarchist*innen! Nein, wir galten bereits als Terrorist*innen, die gekommen waren um die Gewerkschaftsdemo zu sprengen. Nach einem anfänglichen Gerangel, konnten wir das Kräfteverhältnis für uns entscheiden und in der Demo mitlaufen bis das Kommando erschallte: „Schwarzer Block, schwenkt rechts!“ Dieses eine Kommando aus dem Mund von Anarchist*innen wurde von den Alt-Anarchos sofort zähneknirschend kommentiert mit „Wir lassen uns nicht kommandieren!“. Am Rande der Gewerkschaftsdemo lag aber unsere Ausrüstung in Müllcontainern versteckt, für die die Frankfurter Sorge trugen. Nachdem wieder etliche Leute schwarz trugen, ging es zur Siesmayerstraße zur Hausbesetzung. Das war die Zeit der autonomen Zentren und wir wollten auch eins haben! Das Haus lag direkt neben dem US-Konsulat und alle Besetzungsversuche der Vergangenheit konnten uns nicht belehren, wie sinnlos dieses Unterfangen sei. Wir waren vielleicht eine halbe Stunde drin und schon wollte die andere Hälfte wieder raus. Das Haus sei zu alt, zu verrottet, zu oft schon besetzt und zu oft geräumt worden. Eine Hundertschaft mit Wasserwerfer rückte an, wir bauten Barrikaden und zündeten sie an. Das Löschen beflügelte unsere Entscheidung gemeinsam zu gehen und keinen Bruch unter uns zuzulassen, was auch richtig und verantwortungsvoll war. Nun traten wir den Rückzug an, durch das Frankfurter Bankenviertel und viele dieser Glaspaläste gingen zu Bruch. Das kann faszinierend wirken, wenn man da steht und sieht wie die Scheiben erst in sich zusammenfallen und dann vom Himmel rieseln. Wobei sich nach jedem Wurf der nackte Beton um ein weiteres Stück vergrößert. Eine Faszination, der man nicht erliegen darf, wenn die Bullen hinter einem her rennen. Von da an ging es „Turnschuhmässig“ ab, wie wir das nannten, „Hit und Run“ war uns schon geläufig.

In den Tagen darauf war die Presse voll vom Schwarzen Block. Der Sachschaden stieg von Tag zu Tag an und somit auch unsere Selbstbewunderung, die sehr trügerisch und gefährlich war. Ohnehin befanden wir uns Anfang der 80er in aufgewühlten Zeiten und unser Motto lautete: „Wer A sagt, muss auch (B) beweisen!“ Nach Demos stellten die Bullen oft bei unserer Durchsuchung fest, wie gut wir an Armen, Schultern und Beinen unter unserer Kleidung mit Schienbeinschützern geschützt waren. Damit lieferten wir ihnen einige Jahre später leider die Steilvorlage zu ihrer eigenen Ausrüstung.

Aus der Bewegung gab es viele Anschläge und Anschlagsversuche die sehr gefährlich waren und sich gegen die Militärbasen der US-Armee richteten. Das war die Zeit der Autonomen Bewegung wie sie in Deutschland entstand. Nicht aus der Arbeiterklasse wie in Italien, sondern vorwiegend aus der akademischen Linken. Allerdings konnten zu dieser Zeit auch Arbeiterkinder studieren und stellten ein Großteil der Studenten. Heute sind es nur noch 10%, während der Rest aus der Mittel- und Oberschicht stammt.

Eine Sonderkommission „Schwarzerblock“ brachte es ans Licht, dass wir alle für die Sachschäden verantwortlich waren und als terroristische Vereinigung galten. Die Kriminalisierung traf uns wie aus heiterem Himmel. Einige kamen in den Knast, andere machten seitenlange Aussagen und belasteten Freunde. Die Aktenordner der Aussagen wurden auf 300 geschätzt, womit klar war, dass fast jeder über jeden was gesagt hatte. Aber es wurde auch dagegen mobilisiert und Bewusstsein geschaffen, dass man nicht alles sagen muss und seine Aussagen zurücknehmen kann. Dennoch, unsere anfängliche Stärke legte nun unsere größte Schwäche offen, dass es nur um die Politik ging und nicht um uns persönlich. Auch objektiv sind wir schließlich Subjekte der Auseinandersetzung, dessen wir uns nicht immer bewusst waren. Das lässt sich nicht trennen, denn wie konnte man sich mit dem Staat noch versöhnen? Die, die am wenigsten zu verlieren hatten und Frauen, die nur gewinnen konnten, kämpften meist weiter!

Später nach der heftigen Kriminalisierung hieß es, dass es den Schwarzen Block nie gegeben hätte und dass er eine Erfindung von den Medien und der Bullen sei. Doch auf manch einer Demo flüsterten sich die Leute zu, dass nachher noch der Schwarze Block käme. Wir mussten natürlich darüber lachen sobald die Leute weg waren. Wir ahnten ja nicht, wie viele Leute in schwarzen Klamotten zu Demos gingen, als gäbe es keine anderen Farben. Und welch ein Hit wir zu dieser Zeit geschrieben hatten, dessen Lied noch an vielen Demos gespielt werden würde. Übrigens, Black Block klingt noch viel besser als das deutsche Schwarzer Block.

Mit lieben Grüßen aus der Vergangenheit, ein Genosse