Für die Befreiung von staatlicher und kolonialer Herrschaft in Kamerun und überall
In Kamerun spitzen sich seit geraumer Zeit soziale und politische Konflikte zu. Da ist u.a. die Unterdrückung der englischsprachigen Minderheit durch die frankophone Führung. Die Kritik an der Regierung und dem Präsidenten Paul Biya, der sich seit 37 Jahren an der Macht festhält. Und im allgemeinen unterschiedliche Ausdrücke gegen die Armut im Land. Der Staat reagiert auf Proteste mit Gewalt und Soldaten schießen auf Menschen, wie bei einer Demonstration von Lehrer*Innen und Rechtsanwält*Innen gegen den Zwang und Privilegierung der französischen Sprache im November 2016 in den englischsprachigen Provinzen. Seit 2016 kommt es vor allem dort im Süd- und Nordwesten des Landes, immer wieder zu Toten und Verletzten durch das Militär und Terror durch den Staat. Die Reaktion auf die staatliche Gewalt, war die Selbst-Bewaffnung der Bevölkerung, und die offene Konfrontation mit dem Staat. Die Regierung hält an ihrer Macht fest und geht gegen alle, auch vermutlichen Aufständischen brutal vor. Auf der anderen Seite der Front kämpfen unterschiedliche Gruppen. Separatistische Bestrebungen riefen am 1. Oktober 2017 die Unabhängigkeit der Provinzen Südwest und Nordwest, als „Republik Ambazonia“ aus. In der Region gibt es ca. 10 unterschiedliche separatistische Gruppen. Der Konflikt entwickelt sich immer mehr zu einem Bürgerkrieg. Es kommt auf beiden Seiten zu Kämpfen und brutalem Vorgehen, um die Macht zu erlangen. Betroffen von dem Bürgerkrieg, sprich den Kämpfen um die politische und ökonomische Macht sind neben den unzähligen Toten und Verletzten, min. 450 000 Menschen, die aus ihren Dörfern und Städten fliehen mussten.
Ein Bürgerkrieg ist immer ein Kampf innerhalb der Machtverhältnisse, um die Macht – also keine Infragestellung der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Ein Krieg innerhalb der Staatsgrenzen, den der Staat provoziert, um nicht gänzlich in Frage gestellt zu werden. Denn jeder Staat ist sich bewusst, dass er Ungleichheit und somit Konflikte produziert, sei es um die Frage von Eigentum, Verteilung, Sicherung, Entscheidungen. Fragen aus denen ein mal mehr, mal weniger großer Teil der Bevölkerung profitiert und der Rest darunter zu leiden hat. Die Reaktion der Benachteiligten in Form von aktivem oder passivem Widerstand ist dem Staat somit bewusst, und er versucht immer wieder diesen Teil zu befrieden, ob mit Zuckerbrot oder Peitsche. Diese sehr kurze Erläuterung des Bürgerkriegs, spiegelt die Situation in Kamerun, wieder. So zeigt es, dass es nur oberflächlich, um einen sprachlichen Konflikt zwischen englisch- und französischsprachiger Gruppen geht, sondern der Konflikt hat sich in seiner Essenz zu einer bewaffneten Auseinandersetzung um die Macht entwickelt.
Die Frage nach der Macht zu stellen, lässt den Konflikt in Kamerun weniger aufgrund von Sprache erklären (wenn dies auch ein Symptom sein kann), sondern aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes und den Ressourcen in den englischsprachigen Gebieten Kameruns. D.h.: Der Westen Kameruns ist vermutlich weniger das Zentrum des Konflikts aufgrund einer anderen dominierenden Sprache, sondern, da die Provinzen dort eine bedeutende Stelle für die Ausbeute von Ressourcen haben. Die Analyse des Konfliktes in Kamerun auf eine ökonomische Komponente zu legen, lässt das Licht auf die globale Wirtschaft lenken, und allem voran auf Europa, USA und China, die alle Interessen in Kamerun haben. Alle, somit auch der deutsche Staat, sind beteiligt an der Ausrüstung der kamerunischen Armeen (auch wenn es teils in den letzten Monaten Einschränkungen gab), welche die Bevölkerung unterdrückten und massakrierten. Und wenn nicht direkt, so fließen sogenannte Entwicklungsgelder (gezielt oder ungesteuert) in die Hände der kamerunischen Autoritäten. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum die deutsche Presse und Politik über das Blut in den Straßen Kameruns fast komplett schweigt. Die heuchlerische Demokratie des Westens und seine Doppelmoral entlarvt sich in der Abwägung zugunsten von ökonomischen Interessen und der „guten“ Beziehung zu Machthabern wie Biya, im Gegensatz zum produzierten Elend in Afrika. Die konkrete deutsche hässliche Fratze kommt daher in Form von dem Rassisten Günter Nooke, sogenannter Afrikabeauftragter der Bundesregierung (und ganz persönlicher Afrikaberater von Angela Merkel). Dies ist jedoch keine Überraschung oder gar ein Appell an den Staat „was zu machen“, denn die Verelendung durch (global-) ökonomischen Interessen ist eine Kontinuität des Kapitalismus und besonders in seiner kolonialen und imperialistischen Form. Die mediale Ignorierung des Konfliktes im Angesichts des staatlichen Terrors, den Toten und Verletzten, ist somit lediglich eine Konsequenz dieses Handelns.
Das Elend, das der Kapitalismus in der Welt produziert, kann nicht ignoriert werden, nur weil es nicht vor der eigenen Nase passiert oder nicht in der Zeitung steht – vor allem nicht, wenn der Motor dieser Herrschaft immer noch in den alten Kolonialmächten liegt. Die Geschichte ist nicht eine abgeschlossene Vergangenheit, vor allem nicht für diejenigen, für die der Kolonialismus und die Zerstörung Folgen bis in die Gegenwart ziehen. Es geht um die Frage und die Suche nach Handlungsfeldern, um dort zu kämpfen wo man sich befindet ohne seine Analyse auf diesen Territorium zu beschränken. Ende Januar 2019 kam es in Paris, London und Berlin zu Angriffen auf kamerunische Institutionen. In Berlin brachen mehrere Menschen in die Botschaft Kameruns in Berlin-Westend ein, besetzten das Gebäude und zerstörten Teile des Inventars. Angriffe auf Institutionen und Unternehmen (allem voran die Rüstungsindustrie), die von der post-kolonialen Herrschaft und Kriegen profitieren, war immer ein Teil des Repertoires eines internationalen Kampfes. Am 29. Juni 2019 versammeln sich hunderte Menschen in Genf, um gegen Paul Biya zu protestieren, der sich in der Stadt befand. Vor dem UN-Hauptquartier und der Unterkunft von Biya im Hotel Intercontiental kommt es zu Ausschreitungen zwischen den Protestierenden und den Schweizer Cops. Es kommt zu Angriffen auf das UN-Gebäude und das Hotel, die Bullen setzen Wasserwerfer, Tränengas und Blendgranaten ein.
Der Konflikt in Kamerun ist sehr komplex und hat Verstrickungen in verschiedenste Richtungen (persönliches Machtinteresse, globale Wirtschaft, territoriale Kämpfe aus unterschiedlichen Gründen). Ich nehme mir hier nicht die Arroganz, eine Lösung von Außen zu geben, wie die aller meisten europäischen „Expert*innen“, wie sie zu genüge im Bundestag sitzen – die Missionare im grünen oder roten Mantel, geschweige von den Rassist*innen, Kriegstreibern und Post-Kolonialherr*innen. Nein, eine Lösung würde sich als die neue und alte Autorität entlarven, der chauvinistische Blick von Europa (oder auch USA und China) auf Afrika. Es ist viel eher der Vorschlag der Umwälzung des Bestehenden, die soziale Revolution, den ich hier aufwerfe. Ein kämpferisches Projekt, was von den Menschen getragen wird, was nicht vor Grenzen halt machen darf. Die Ersetzung des Präsidenten Paul Biya durch jemand Anderen, löst nicht das Elend und Unterdrückung in Kamerun, denn die Machtstruktur bleibt bestehen. Eine staatliche Autonomie kaschiert nur die Abhängigkeit und Ausbeutung vom und durch das globale Kapital. Wie sich für Kamerun zeigt, von der Kolonisierung der Deutschen ab 1884, der „Abgabe“ der Kolonie an Frankreich und Großbritannien 1919, der „Unabhängigkeit“ 1960/61, bis heute unter Präsident Biya, ist es die Herrschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht und unter dem Diktat von Staat und Kapital steht, welche die Menschen verelendet. Und wenn heute Menschen in den Straßen von Bamenda durch den Staat getötet und terrorisiert werden, dann, ist dies nicht lediglich ein Ausdruck von einem Autokraten, der mehr Zeit in Schweizer Hotels verbringt als in Kamerun selbst, sondern ein Ausdruck von einem globalen Machtinteresse, von dem Diktat von Staat und Kapital auf lokaler und globaler Ebene. Somit steht Kamerun nicht alleine da, sondern für Afrika u.a. Senegal, Äthiopien oder DR Kongo, etc. wo „lokale“ Konflikte auf der (Post-) Kolonialisierung und zwanghaften Eingliederung in den Markt und Ausbeutung von Ressourcen beruhen.
Für die Eskalation von Konflikten in einen sozialen Krieg von Unten – zu einem Konflikt innerhalb der Herrschaft gegen die Herrschaft, einem Kampf gegen jegliche Macht. Und nicht in einen Kampf Aller gegen Alle, oder zu einem Bürgerkrieg, einem Kampf um Macht.
Historischer Exkurs
Ab 1884 wurde das Territorium, was heute als Kamerun bekannt ist, vom deutschen Staat kolonisiert. Bereits einige Jahrzehnte vorher gab es bereits wirtschaftliche Bestrebungen von Unternehmer*innen vor allem die Küstenregion aus zu beuten und in den globalen Markt zu „integrieren“. Zuerst an der Küste und dann ab 1887 immer weiter ins Innere des Landes wurden deutsche „Stützpunkte“ gegründet und Infrastruktur für Warenproduktion und Handel gebaut. Um den Kamerunberg im Südwesten des Landes wurden ab den 1890er Jahren riesige Plantagen gebaut. Dies alles passierte durch eine extreme Gewaltanwendung der Kolonisierenden. Die Reaktion der afrikanischen Bevölkerung und unterschiedlicher Gruppen, wie u.a. der Douala, Bafut, Bakwiri, Kpe, Bulu, Ewondo, Fulbe, Makaa, Jaunde, etc. waren die mal mehr mal weniger großen Revolten und Angriffe gegen koloniale Strukturen und Agent*innen der kolonialen Herrschaft. Wie jede Kolonisierung, war auch das Projekt der deutsche Kolonisierung, die Unterwerfung von Mensch und Natur unter die Herrschaft von Staat und Kapital. Es kam u.a. zu militärischem Vorgehen gegen nicht-kooperierende Gruppen, sogenannte „Strafexpeditionen“, zu „Prügelstrafen“ gegen rebellische Menschen, die sich der (Zwangs-)Arbeit auf den Plantagen, dem Schienen- und Straßenbau verweigerten und institutionalisierter Gewalt wie Rassismus. Heute verzieren Namen von einigen deutschen Verantwortlichen der Folter und Massaker in Kamerun die Straßen von Berlin. Nach dem 1. Weltkrieg musste Deutschland die Kolonien in die Hände anderer europäischer Mächte (England und Frankreich) geben. Die Regionen Südwest und Nordwest Kameruns wurden englische Kolonie. Der Rest des Landes kam unter französische Herrschaft.