…über Städte als Modellprojekte
Welche Gemeinsamkeiten haben die Entwicklungen in Berlin am Moritzplatz, an der Warschauer Brücke und in Adlershof? Und welche Gemeinsamkeiten haben diese Beispiele mit vielen anderen Vierteln in anderen Metropolen? Diese Kieze sind Modellprojekte für eine vernetzte Stadt, die durch die aus der Sicht der Herrschenden versprochenen Vorteile die logische und notwendige Weiterentwicklung von urbanen Zentren sind. In Adlershof wurde ein ganzes Stadtgebiet aus dem Boden gestampft, das als Technologiepark gerühmt wird. In der Innenstadt ist so etwas, bedingt durch Platzmangel, kaum realisierbar. Und so muss vertikal gedacht und entworfen werden. Am Moritzplatz sollen zig tausend Quadratmeter Fläche für die Tech-Szene errichtet werden. Derweil haben sich in den benachbarten Gewerbehöfen schon längst unzählige Start-Ups angesiedelt. Die Tech-Comunity plant, baut und wirtschaftet für sich und ihre Welt. Auf der anderen Seite der Ritterstraße hingegen stehen Sozialbauten soweit das Auge reicht. Ihre „Smart Cities“ sind praktisch standardisiert und somit jederzeit und überall austauschbar. Fast jede*r Techie kann auf der Welt von A nach B jetten und wird die selben Bedingungen antreffen. Die soziale Unterschicht wiederum wird kaum Teil haben an den Arbeitsangeboten und am Luxus der Tech-Szene. Vielleicht dürfen sie die Klos für die Hipster putzen. Der Kontrast könnte kaum krasser sein. In Berlin gibt es noch unzählige weitere Umstrukturierungspläne für die smarte Stadt rings um den Hauptbahnhof z.B. auf der Cuvry-Brache wo Zalando baut, das Bosch-Viertel, oder die Tesla-Fabrik in Grünheide usw. … Die milliardenschweren Gebäudeentwickler*innen sind mit der ständigen Planung und Umstrukturierung von Vierteln und Mietobjekten beschäftigt, die durch ihre High-Tech-Eigenschaften die Bedürfnisse der digitalen Belegschaft befriedigen sollen. Wenn möglich sollen diese entstehenden Gebäude durch ihre Dimension und futuristischen Anblick, an Ausstrahlungskraft und Prestige gewinnen. Das scheint ein neuer Trend für Berlin zu sein, ist jedoch Realität in den meisten Metropolen dieser Welt. Historisch und konstruktiv gesehen ieten Gebäude, die in die Höhe schiessen, durch ihre Architektur eine Möglichkeit zu expandieren, wenn es der städtische Ballungsraum nicht anders erlaubt. So liegt ein Hochhaus-Projekt wie der Edge Tower an der Warschauer Brücke gerade voll im Trend. Amazon als Untermieter ist so etwas wie die Kirsche auf der Sahnetorte.
Es soll an dieser Stelle um ein Wort gehen, das oben erwähnt worden ist, aber für manche wahrscheinlich noch schleierhaft erscheint. Nämlich: Gebäudeentwickler*in. Das ist ein Überbegriff, um eine ganze Systematik von Visionen, Interessen und Praktikabilitäten zu beschreiben. Es soll ansatzweise versucht werden, das komplexe Zusammenspiel von den eben genannten Aspekten zu verstehen, um handlungsfähig zu bleiben. Zu denken, dass ein Unternehmen, egal welcher Größe, irgendwo an eine Tür klopft und meint sich einfach mal so ansiedeln zu können, wäre zu kurz gedacht. Die Menschen, die in Metropolen leben, sind seit einigen Jahren einem Dauerbeschuss von Schlagwörtern ausgesetzt: technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Industrie 4.0, 5G, Internet der Dinge, Smartifizierung, Künstliche Intelligenz usw.. Das hat seinen guten Grund. Die Politik, die Industrie, die Forschung und die Wirtschaft erhoffen sich von dieser aufgesetzten „Weiterentwicklung“ Profit. Dementsprechend predigen sie die digitale „Revolution“ in Dauerschleife. Ihrer Meinung nach gäbe es ohne Fortschritt, ohne ständige Bewegung, einen Stillstand, wenn nicht sogar einen Systemabsturz. Der kapitalistische Motor muss daher am Laufen bleiben. An sich nichts Neues. Der alte Karl hatte dies schon erkannt und einen Kollaps vorhergesagt, der aber bisher noch auf sich warten lässt. So sind die Gebäudeentwickler*innen die Investor*innen, Architekt*innen, Ingenieur*innen, Designer*innen und Verwalter*innen die Handlanger*innen der Politik und ihrer Pläne.
Die gewählte Politik, egal ob links, grün, rechts oder mitte, entscheidet profit- und machtorientiert in eine gewisse Richtung zu lenken. Sie bietet die Infrastruktur, sie erlässt und biegt Gesetze, sie fördert und finanziert Wissensfabriken und Wirtschaftszweige. Unternehmen steigen darauf ein und schnuppern das große Geld. Die Entwickler*innen und Forscher*innen treiben den gesellschaftlichen Wandel in ihren Laboren, auf ihren Smartboards und auf Computern voran. Die Architekt*innen fertigen die Grundrisse für konkrete Projekte. Die Bauunternehmen buhlen um Aufträge und kooperieren mit Makler*innen und Eigentümer*innen von Land und Gut und spekulieren damit. Dann gibt es die arbeitende Mittelschicht, die jegliche Hoffnung und Zukunft an den Technologie-Fetisch abgibt. In der Hoffnung auf eine gute Arbeitsstelle sammeln sie sich wie die Ameisen um die neu entstandenen Tech-Spaces, Incubatoren, Technologieparks und saugen an ihrem stinkenden Nektar so lange wie es geht. Die Unterschicht wird immerzu überflüssig und nur für sogenannte Shitty-Jobs verwendet. Der Aufbau der kapitalistischen Pyramiden-Hierarchie hat sich kaum verändert, nur ihre Ausdrucksform. Die Gebäudeentwickler*innen heutzutage sind die selben Kapitalist*innen, Geschäftsleute und Ingenieur*innen wie z.b. im Jahre 1893, als es der damalige Traum der Oberschicht war, die Städte dauerhaft und effizient zu beleuchten. Edison und Westinghouse waren gerade im „Stromkrieg“ verfeindet, wo es um die erste wirtschaftliche Auseinandersetzung um einen technischen Standard ging. Der Wille vom „Strom aus der Steckdose“ und die Etablierung von Westingshouse´s Wechselstrom haben u.a. zur glorreichen Errungenschaft des Elektrischen Stuhls durch Edison beigetragen, der durch seine Funktion als „menschliche und bequeme“ Art der Hinrichtung angesehen war. Dies scheint ein verkraftbarer und nicht weiter nennenswerter Wermutstropfen zu sein, im Vergleich zu dem unglaublichen Evolutionsschub der Elektrifizierung der Welt. Die Berührungspunkte, damals wie heute, sind durch das Wechselspiel von Herrschaft, Kontrolle, Ausbeutung und Fortschritt ersichtlich. Weiter noch wird verdeutlicht, das jeder Fortschritt seine Schattenseiten hat. Diese gilt es sich bewusst zu machen, um den angehenden und zukünftigen Entwicklungsschüben nicht blindlings in die Arme zu laufen. Es soll erwähnt werden, dass es nicht darum geht, jede Entwicklung oder Veränderung zu verteufeln, wie in diesem Beispiel etwa die Elektrifizierung. Aber sich die grundlegenden Fragen zu stellen, wer für wen entschieden hat, an irgendetwas zu forschen und überhaupt zu welchen Zwecken. Thomas Edison wurde zum Milliardär und stieg bei General Electrics ein, das durch ihn zum weltweit größten Elektro-Unternehmen wurde. Nicola Tesla, ein weiterer Pionier in der Stromforschung hingegen, wollte die Elektrizität für alle Menschen kabellos zugänglich machen ohne kapitalistischen Hintergedanken. Die Investor*innen haben ihn aber hängen lassen und letztendlich starb er als veramter Mann.
Zurück ins Hier und Jetzt. Die Gegner*innen von einem Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung sind allgegenwärtiger denn je. Sie benutzen ihre Ressourcen und Fähigkeiten, um ihre Interessen durchzusetzen, um sie, wie im erwähnten Beispiel, zu etablieren und zu standardisieren. Die Städte sind nun schon längst beleuchtet; der jetzige (Fort-)Schritt soll nun die komplette Vernetzung sein. Somit befassen sich alle denkbaren Wissenschafts- und Wirtschaftsbereiche damit, wie diese Vernetzung zu planen und umzusetzen sei. Womöglich lassen sich für ein paar Jahre damit gute Geschäfte machen. Sich all dem zu widersetzten scheint schwieriger denn je. Die Ausbeutung läuft nicht mehr den klassischen Weg, der den Hass auf die Lohnarbeitsverhältnisse schürt. Jegliches Überbleibsel eines Klassenbewusstseins verschwimmt zu einer „Hauptsache-mir-gehts-gut“ – Mentalität. Nach der Elektrifizierung wurden die Arbeiter*innen durch die Einführung von Fließbändern weiter entfremdet. Manche Fabriken und Arbeitsprozesse wurden mechanisiert und automatisiert. Danach folgte die Dezentralisierung der Fabriken. Viele Arbeiter*innen wurden entlassen, weil sie durch die Mechanisierung überflüssig wurden. Heutzutage gibt es in den „zivilisierten“ Ländern kaum noch Fließbandarbeit, dort ist es jetzt die Robotisierung und die Digitalisierung, die voranschreiten und wieder mal droht eine neue Welle der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitsbedingungen haben sich damals verändert, so wie auch heute. Ein weiterer Berührungspunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Menschen, die am meisten von Wachstum, Fortschritt und Wohlstand Nutzen ziehen, sind wie je her aus der Oberschicht und auch Mittelschicht. Doch das zerbrechliche und künstliche Gleichgewicht, welches sich die Herrschenden errichtet haben, droht ständig durch externe Bedrohungen die Balance zu verlieren. Diese passiven Störelemente können durch Konjunkturschwankungen, Wohnungsnot, Krankheit, Vereinsamung und nicht zuletzt durch die Verwüstung der Natur bedingt sein.
Ein anderes Störelement kann das selbstbewusste Individuum sein, das sich diesem Zustand gezielt entgegensetzt und das sich mit anderen Individuen verbündet. Wenn eine Gefahr wahrgenommen wird, kann es den Menschen dazu treiben, sich gegen diese Gefahr zu wehren und zu schützen. Doch viel Zeit und Energie wird von den Herrschenden investiert, die Kontrolle zu festigen und durchzusetzen. Eben diese grundlegenden Veränderungen und die daraus folgende Verkümmerung soll als etwas Harmloses dargestellt werden. Die massenhafte Verblendung und Entfremdung schreitet voran. Erkennbar sind aber immer wieder Roststellen in der Struktur der kapitalistischen Gesellschaft und die Städte sind ihre Knotenpunkte, die sozusagen das Gerüst des Kapitals sind. Das ist in ihrem Inneren am deutlichsten spürbar und zugleich sind sie die modernen Schlachtfelder vom verzweifelten Überlebenskampf des Kapitals. In diesem Konflikt gibt es Protagonist*innen die die Fäden ziehen und darauf hin arbeiten, dass weitere Unternehmen die gegebene Infrastruktur weiter nutzen. Einige davon sind in Berlin die GSG, Pandion und Edge Technologies. Diese Firmen und Gesellschaften stehen im Hintergrund von vielen Großprojekten in verschiedenen Städten und Ländern.
GSG Berlin
Die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG) wurde 1965 vom Land Berlin, der Berliner Industrie-und Handwerkskammer gegründet, um Raum für Gewerbebetriebe zu schaffen. 2000 Unternehmen sind auf fast 50 Standorte verteilt, mit insgesamt rund 1 Mio. m² Mietfläche. Die GSG redet von einer „Berliner Mischung“ aus kreativen Industrien, Co-Working, hybriden Arbeitsformen und „Urban Production“. Diese Dynamik soll mit zeitgemäßem Wohnen und Arbeiten kombiniert werden. Ziel ist es, gründerzeitliche, innerstädtische Standorte für innovative, digitale und kreativ-wirtschaftliche Geschäftsmodelle „anfassbar“ zu machen. Laut interner Prognose soll dieser boomartige Wandel weiter andauern; der zukünftige Büroflächenbedarf wird auf 4 Mio. m² geschätzt.
PANDION AG
„Erfolg ist die beste Expertise“ – Die PANDION AG mit Sitz in Köln befasst sich seit 2002 mit der Entwicklung, Realisierung und dem Vertrieb hochwertiger Wohnprojekte. Insgesamt plant und baut PANDION deutschlandweit rund 4.000 hochwertige Wohnungen und sechs größere Gewerbeobjekte mit einem Verkaufsvolumen von insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro. In Berlin ist Pandion maßgeblich an der Umstrukturierung des Moritzplatz beteiligt. Im „Shelf“ und im „The Grid“ sollen ca. 30.000 m² Bürofläche errichtet werden. In dem ehemaligen „Böhmischen Brauhaus“ an der Landsberger Allee plant Pandion eine Bruttogeschossfläche von 43.700 Quadratmetern für Eigentumswohnungen. Weitere 7 Projekte sind allein in Berlin in Aussicht.
EDGE TECHNOLOGIES
Der „Immobilienentwickler“ Edge Technolgies ist ein Tochterunternehmen der OVG Real Estate. Ziel ist es, ihre Visionen von neuen futuristischen High-Tech Immobilien umzusetzen. Ihr Motto: Die Welt braucht bessere Gebäude! Ihre drei Projekte in Berlin sind derzeit der „Edge Tower“ in F-hain-Kreuzberg, die Scout-24-Zentrale „Edge Grand Central“ nahe dem Hauptbahnhof und der neue Vattenfall-Hauptsitz „Edge Südkreuz“. Insgesamt wurden bisher 900 Mio. Euro investiert. In absehbarer Zeit wird es weiter Großprojekte in Berlin geben, die von Edge Technologies als „spannende Areale“ eingestuft werden, z.B.: die „Urban Tech Republic“ am alten Flughafen Tegel sowie der Innovationscampus Siemensstadt 2.0 in Spandau.
Sie vereint der typische Raub an Ressourcen. Der Mehrwert wird in diesem Fall durch funktionierende Gewerbeeinheiten generiert. Die, wen wundert´s, auf die Digitalisierung der Arbeitswelt setzen. Aber es soll ein tieferer Blick in die Psyche dieser Geschäftsmodelle gemacht werden. Alle drei Firmen sehen in der Digitalisierung ein enormes finanzielles Potenzial. Sie treiben durch ihr vorhandenes Kapital und ihre Verflechtung mit der Politik die urbane Umstrukturierung maßgeblich voran. Eine digitalisierte Welt verspricht Sicherheiten, die das Fortbestehen der Wirtschaftsverhältnisse garantieren sollen. Speziell die Digitalisierung ist daher der Berührungspunkt der meisten modernen Geschäftsideen. Die großen Player wie Amazon, Google und Co. kommen zu allerletzt und machen es sich im gemachten Nest gemütlich. Die Entwicklungen an der Warschauer Brücke und andernorts sehen zwar die vorerst letzte Stufe der Gentrifizierung vor, der Eingriff in die Gesamtheit unserer Leben durch die Technologie schreitet jedoch ständig voran. Dazu sollen die Informationen aus diesem Text dienen. Einerseits darf der technologische Angriff nicht als modernste Ausgeburt des Kapitalismus angesehen werden. Er ist nämlich inhärenter Bestandteil einer längst initiierten Entfremdung durch die Technologie von einem kritischen Selbstbewußtsein. Andererseits soll die gesamte Bandbreite der Berührungspunkte von jeglichem Fortschritt vor Augen geführt werden. Die Verantwortlichen der Verkümmerung sollen ausfindig gemacht werden und Spannungen und Brüche in der Gesellschaft erschaffen werden. In diesen Konflikten kann jeglicher radikaler Ausdruck der Verneinung ein Akt der Revolte für das Leben und für die Freiheit sein.