Die ersten Demos verliefen trotz Polizeigewalt und vielen Verhaftungen noch recht friedlich. Doch durch die weltweiten Aufstände gegen Polizeiwillkür und die spürbare wirtschaftliche Krise aufgrund der Pandemie, folgten Einige dem Gedanken, immer wieder auf die Straße zu gehen. Der Alexanderplatz wurde schließlich besetzt und zu einer autonomen Zone erklärt, so wie sie zuvor in einigen Städten der USA ausgerufen wurde. Der Gedanke sprang über, wie ein Lauffeuer. Auch in anderen Städten Europas fingen Leute an, Essen und Trinken aus den Supermärkten zu besorgen. Andere kümmerten sich um Zelte und Decken, wieder andere fingen an, Kocher und große Töpfe zu organisieren, um auf den Plätzen für Verpflegung zu sorgen. Laut Augenzeugenberichten fanden so viele Menschen in unterschiedlichen Gruppen zusammen und diskutierten darüber, wie sie anders leben wollten.
Sie besannen sich, dass sie jahrhundertelang Verantwortung an Autorität und Vater Staat abgegeben hatten. Nun paraphrasierten sie Wörter und Bedeutungen von Verantwortung und Zurückhaltung um – nun Selbstverantwortung und Selbstorganisierung der eigenen Belange. Es glich einer Katharsis für Menschen, die in eine Gesellschaft hinein geboren waren, welche immer Sicherheit versprach, aber im Gegenzug Autorität und Gehorsam verlangte. Ab dem ersten Tag gab es Aufrufe, überall zusammen zu kommen, zu diskutieren und die Bullen, die Regierenden, sowie die global/monopolistisch agierenden Firmen zum Teufel zu jagen. Es ging darum, das Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen und sich in kleineren oder größeren Gemeinschaften zu beratschlagen, wie das aussehen könnte.
Im Wedding wurde wieder ein Mensch von den Ordnungshüter*innen getötet. Die sozialen Spannungen waren eh schon spürbar, aber dieser Mord brachte das Fass zum Überlaufen. Mit einer grenzenlosen, bisher unbekannten, zerstörerischen Wut versammelten sich die Menschen in Parks und auf Plätzen und fingen an Barrikaden zu errichten. Diese wurden täglich größer und dahinter sammelten sich Leute, die sie verteidigten. Andere kümmerten sich um Unterkünfte, Essen, Kleidung und Bewaffnung. Auf dem Alexanderplatz wurde von einer 80-jährigen Frau folgendes verlesen: „Die ständige Angst und Anstrengung, ein Leben in Unterdrückung zu leben, macht krank. Deshalb haben wir uns das verordnet, was uns ein Arzt verordnen würde: Luftveränderung und Milieuwechsel. Beides nehmen wir uns zu Herzen und brechen auf in ein Experiment. Unsere Gemeinschaft beschließt die Bullen, diese Handlanger der Macht, zu verjagen und ein neues Leben innerhalb der Barrikaden zu gestalten, ohne rassistische Übergriffe, ohne patriarchale und sonstige unterdrückerische Mechanismen, ohne Miete, ohne Eigentum. Auf den Barrikaden sollen Ideen verbreitet werden, die alle dazu erwärmen, Vertrauen und Freundschaft, also direkte Beziehungen zu Menschen auszuprobieren, ohne jegliche Tauschwerte, also sich umsonst zu ernähren, zu kleiden und zu wohnen. Der Begriff „social distancing“ soll gleich wieder als unbrauchbares Vokabular unter den Trümmern der alten Welt begraben werden. Konflikte und Diskussionen werden ab jetzt jeden Tag geführt, auf den Barrikaden und in den autonomen Zonen! Baut Barrikaden, sie versperren zwar die Straße, aber erweitern den Blick auf etwas Neues!“ Zur selben Zeit gab es auch in anderen Städten Europas ähnliche Ansätze und Vorschläge der Subversion. Die Idee der Herrschaftslosigkeit war vielen Millionen von Menschen gemein und brachte sie dazu, ein neues anderes Leben aus zu probieren. Geld wurde mancherorts abgeschafft, Smartphones und sonstiger Smartshit in den Müll geworfen, gesellschaftliche Kontrollapparate abgeschafft.
Am Alexanderplatz blieben die Menschen weiterhin wohnen. Langsam zogen sie in die umliegenden Geschäfte und Hotels ein, um Schutz vor Regen zu haben und die Versorgung aller dort sich Zusammengefundenen zu organisieren. Die Bullenstation mitten auf dem Alexanderplatz wurde zur öffentlichen Toilette umfunktioniert. Manche hingen auch nur mit ihren Hunden am Brunnen herum und genossen es erstmals faulenzen zu können, ohne Gewissensbisse zu haben. Die Weltzeituhr wurde Treffpunkt für teils internationale Diskussionsgruppen. Die Komplexität der Realität wurde versucht zu verstehen, ohne in die Falle der einfachen Antworten, wie Verschwörungstheorien hereinzufallen. Der Kampf von Unten gegen die Herrschaft hatte so eben einen konkreten Anfang…
…praktisch alle autonomen Zonen wurden von Polizei, Bürger*innen und rechtem Gesindel belagert und waren ständigen Angriffen ausgesetzt. Doch waren viele Menschen in den besagten Zonen entschlossen, jeden Angriff zurück zu drängen und das umkämpfte Gebiet sogar zu erweitern.Von einem methamorphosisches Ereignis können wir berichten, als sich tausende Frauen vor dem Reichstag versammelten, nachdem ihnen bewusst geworden war, dass sie durch Covid-19 in den deutschen Gebieten wieder auf bloße Sex-, Gebär- und Reproduktionsmaschinen zurückgedrängt worden waren. Plötzlich wurde die berüchtigte Performance aus Chile angestimmt, die Patriarchat, Staat und Autoritäten als Mörder, Vergewaltiger und Gewalttäter anprangerte: „…und Schuld war nicht ich, nicht wo ich war, nicht was ich trug – der Vergewaltiger warst du, der Vergewaltiger bist du – es sind die Bullen, die Richter*innen, der Staat, Präsident*innen…“ Die Massen bewegten sich durch die Stadt und zerstörten alles, was ihrer Wut über patriarchale Verhältnisse, Femizide, Kolonialismus und Unterdrückung Ausdruck verlieh. Die Paläste der Macht, wie z.B. das Wirtschaftsministerium, das Familienministerium, militärische Firmen, aber auch das Kriegsministerium usw. wurden angegriffen und verwüstet. Auch digitale Infrastruktur, wie Funkmasten, Server-Farmen etc. wurden sabotiert, um sich dem kybernetischen Albtraum zu entziehen. Die gesamte digitale Wirtschaft, sowie ihre Profiteure, wie Amazon und Google wurden als feindselig wahrgenommen. Auf die Sucht nach Technologie und Kontrolle folgte die Ernüchterung. In den Pamphleten der Rebell*innen wurde verlautet: „Wir mussten oft hören, das Leben nach Covid-19 wird nie wieder sein, wie das Leben davor. Das nehmen wir jetzt ernst und gestalten das Leben nach der Pandemie, wie es uns gefällt! Bisher konnten wir kaum wahrhaftige menschliche Beziehungen gestalten, da sonst unser Marktwert herabgesetzt wurde. Uns fehlte die Zeit und wenn, dann mussten wir sie uns borgen oder stehlen, um etwas anderes zu leben. Jetzt folgen wir den Inspirationen einer herrschaftsfreien Welt, die wir täglich neu erschaffen. In der wir uns alle gemeinsam auseinandersetzen müssen, wie wir in freien Vereinbarungen miteinander in großen und in kleinen Zusammenhängen organisieren und leben können, ohne Zwang und Ausbeutung. Klar gibt es auch die sogenannten Verteidiger*innen der alten Welt, die keine Selbstachtung besitzen und nur dieses Land lieben, in dem sie sich selbst lebendig begraben. Es bedarf neben Nahrung auch der sozialen Wärme. Das Hier und Jetzt gleicht einem Prozess des Erwachens, bei dem es gilt den jahrhundertelangen Schlaf abzuschütteln und den Tag immer wieder neu mit Initiativen und Taten zu beginnen!“
Auch die letzten Mauern der Autorität wurden nach langen Kämpfen endlich eingerissen. Aber schon während die unbekannten revolutionären Pfade begangen wurden, stellten sich viele Fragen und Herausforderungen. Auf den verschiedenen besetzten Plätzen in Berlin und anderswo kamen schnell Diskussionen auf, wie z.B. die Versorgung in großen Städten überhaupt möglich wäre. Deshalb fingen Viele an, befreite und unnütze Gebäude umzugestalten. Sie bauten die riesigen Bankgebäude, Kaufhäuser und Bürogebäude zu Gewächshäusern und Nachbarschaftsgärten um. Straßen wurden aufgerissen, bepflanzt und Baumaterialien für Barrikaden gegen Bullen und andere Autoritäten benutzt. Zwischen den verschiedenen Zonen gab es regen Austausch und Wissensübermittlung. Ein Diskussionszusammenhang am Alexanderplatz fing an, sich um die Stadt-Land Verbindungen zu kümmern und es wurden Lieferserviceautos, wie die von DHL und Amazon, sowie ihre riesigen Warenhäuser für die Umverteilung enteignet. Eine nette Episode gab es an der Warschauer Brücke, denn der halbfertige Amazon-Tower wurde Stein für Stein abgebaut und damit mitten auf der Warschauer Brücke ein Community-Haus für Treffen, Partys und Essen gebaut.
In den Gefängnissen der damaligen Gesellschaft gab es während Covid-19 schon etliche Revolten und Kämpfe. Als dann die Revolten draußen anfingen, war es für die Gefangenen ein Leichtes, sich mit Hilfe von solidarischen Menschen aus den Knästen zu befreien, zu ihren Bezügen zurückzukehren und sich da, wo sie sich wohlfühlten, einzubringen. Einige Ex-Gefangene verfassten folgendes Kommuniqué: „Jeden Tag versprachen wir zu zahlen, die Miete, das Essen, vielleicht versprachen wir es auch für den Morgen, doch im selben Moment starben wir. Wir warben jeden Tag um unsere Gunst, um uns zu verkaufen und vermieden es zu rebellieren, aus Angst vor Gefangenschaft. Unser Leben im Gefängnis bestand aus Lügen, um zu einem Nichts zusammen zu schrumpfen! Wir versuchten ohne Vertrauen auszukommen und verschlossen uns dadurch den Veränderungen! Doch jetzt sind wir frei für etwas Neues. Es eröffnen sich viele neue Radien, die wir um unseren Mittelpunkt ziehen können! Für ein wildes und freies Leben! Auf in das Unbekannte!“
Einige andere Zusammenhänge entschlossen sich, im Zuge der kritischen Auseinandersetzung mit der „Stadt“, aufs Land zu ziehen und neue Gemeinschaften zu gründen, auch um mit der Landbevölkerung in Diskussionen zu treten. Es wurde Vielen klar, dass eine Stadt, so wie sie bestand, nur hierarchisch verwaltet werden konnte und ihre Existenz daher grundsätzlich in Frage gestellt werden musste. Ausbeutung und Unterdrückung der gesamten menschlichen und natürlichen Ressourcen trieb den Ruin dieses Planeten an. Inmitten von Epidemien, der Verbreitung von Pesti,-und Insektiziden, CO2-Ausstoß, der Verwüstung von Territorien durch die Tech-Industrie. Südostasien wurde immer mehr zum Abbaugebiet für Chemiekalien, Afrika zur Deponie und das Mittelmeer zum Abwasser Europas. Daher musste ein neues Ökosystem und ein anderes Versorgungssystem erdacht werden. Nicht größer, sondern kleiner war die Devise – kleinere Zusammenhänge und kürzere Versorgungswege. Es war aber auch klar, dass es lange Umgestaltungsprozesse bedeutete. Es gab den wichtigen Aspekt bei all den Diskussionen, wieder im Einklang mit der Natur und den Planeten zu handeln und nicht über diese und uns zu herrschen. Ein wildes Leben war auf einmal möglich und auch heute noch haben wir damit zu tun, anders zu denken und uns zu versorgen. Dies ist ein andauernder, nie endender Prozess. Wenn wir uns an das alte Leben zurück erinnern, war es einsam, trist und unbefriedigend. Es gab keine Muße, es sinnhaft zu gestalten. Ein hilfreicher Gedanke von damals wie heute war und ist, dass wir die lebensfeindliche Hydra positiv umdenken können. Denn dort, wo der Kopf abgeschlagen wird, kommen derweil nicht mehr zwei grausame neue Köpfe hervor, sondern zwei gute neue Ideen.
…träumen ist auch Zukunftsplanung!