Gefangen in einem Netz aus Straßen und Schienen

Über Mobilität, den Warenfluss und das Dazwischen

Die Mobilität ist eine wichtige Stütze der kapitalistischen Ausbeutung. In einem System, in dem alles zur Ware wird, wird auch der Mensch zur Ware. Er wird Teil der Logistik, wie der Salat im Supermarkt oder die Informationsströme der Börse. Die ständige Optimierung des Warenflusses bedeutet für jede*n Einzelne*n schneller arbeiten, schneller konsumieren, schneller schlafen, schneller erholen, schneller leben,… und eben sich schneller fortbewegen. Das Warten ist schädlich für den Kapitalismus. Time is Money! Es ist daher nicht verwunderlich, dass Berlin voll von Fortbewegungsmitteln und Infrastruktur ist. Von A nach B, mit der Bahn, Bus, Fahrrad, Taxi, E-Roller und, wer es sich leisten kann, mit dem eigenen Auto.

In der Logik der kapitalistischen Mobilität ist kein Platz für das Dazwischen. Die Stadt wird zu einem Netz aus Straßen und Schienen. Und wir bewegen uns in dieser von Ziel zu Ziel, möglichst schnell und effektiv. Der Weg und die Zeit dazwischen sind bloß nervig und uninteressant. Es sind nicht zuletzt die gelangweilten Gesichter, in die man in der U-Bahn schaut, die dies zeigen. Oder die gestressten Autofahrer*innen im Straßenverkehr. In einem System, das auf Geld – und heute immer mehr auf dem „neuen Gold“, den Daten – basiert, können die einzigen Ziele unserer Reise scheinbar nur die Orte sein, wo das Geld und die Ware regiert. Der Rhythmus der Lohnarbeit bestimmt unser Leben und wohin wir uns bewegen. Letzten Endes sitzen gerade die Meisten von uns in irgendeinem Fortbewegungsmittel Richtung Arbeit, Schule, zu einem Termin oder das Ziel ist ein Ort, wo wir das Geld ausgeben, ein Einkaufszentrum, ein Club, … Es stellt sich also die Frage: wem nutzt der Ausbau der Mobilität? In aller erster Linie dem Kapitalismus. Dem reibungslosen Ablauf einer Ökonomie nach seinen Maßstäben. Infrastruktur wie Straßen und Schienen sind das Bindeglied innerhalb des kapitalistischen Alltags von jedem und jeder.

Die Mobilität ist Teil der Herrschaft. Die Entwicklung der Mobilität ist die Erwiderung auf die wirtschaftliche Notwendigkeit, den*die Einzelne*n nicht nur von A nach B zu bringen, sondern diese Bewegung zu bestimmen und zu kontrollieren. Der heutige Markt fragt nach flexiblen Arbeitskräften. Die Mobilität muss sich dieser wirtschaftlichen Flexibilität anpassen. Für Berlin zeigt sich das Verhältnis von Ökonomie und Mobilität u.a. am Märkischen Viertel. Das MV, in dem ca. 40.000 Menschen leben, zumeist aus den „unteren Schichten“, hat seit der Bebauung der Hochhäuser eine schlechte Anbindung an den Nahverkehr, da die armen Bewohner*innen für die Ökonomie eine weniger wichtige Rolle spielten. Der nun geplante Ausbau der U8 bis in das Viertel, der seit den ’60er Jahren versprochen war, ist weniger ein Geschenk an die Bewohner*innen, als eine direktere Integrierung des Viertels in den neuen Markt. Und wahrscheinlich können die jetzigen Bewohner*innen nicht mehr lange da wohnen, denn steigende Mieten wären nur eine Folge des verbesserten Anschlusses an den Nahverkehr. Dies ist wahrscheinlich das Traurige, denn jede*r möchte sich irgendwie wohin bewegen, doch im Kapitalismus bestimmt immer noch der Staat und das Kapital die Wege. Ein anderes Beispiel für die Verbindung zwischen Mobilität und Wirtschaft ist die neue E-Mobilität und ihre kommerziellen Sharing Anbieter. Diese sind nicht nur eine Ergänzung zu einer flexiblen Fortbewegung der Ware Mensch, sondern sie erheben die Daten der User – sie sind somit Teil der technologisierten Ausbeutung. Darüber hinaus spiegelt die Mobilität den militärischen Charakter der bestehenden Gesellschaft wieder, mit ihrer Disziplinierung, Kontrolle und Überwachung. Schilder zeigen dir, wie du fahren sollst, wie du dich zu verhalten hast und was verboten ist. Kameras in Bahnhöfen und auf der Straße behalten dich erst mal präventiv im Auge. Alles für einen reibungslosen Ablauf und Effektivität. Die enge Verbindung zwischen Mobilität und Militär zeigt nicht nur die Geschichte u.a. der Eisenbahn, welche Truppen schnell an die Front bringen sollte und Nachschub garantierte. Auch heute in Form der technologischen Entwicklung der Mobilität, wie selbstfahrende Autos, Drohnen, usw. – ein Repertoire, was man aus dem Krieg kennt. Wenn die Rede ist von einer autoritären Entwicklung der Gesellschaft hin zu einem gesellschaftlichen Gefängnis unter freiem Himmel, dann bietet die kapitalistische Mobilität die Infrastruktur des Knastes. Genau, einem Gefängnis, denn die eingeschlossene „Gesellschaft“ kennt nur noch die Bewegungsmuster innerhalb der Machtverhältnisse. Ausgeschlossen wird all jenes, welches fern der Routine der Arbeit, des Geldes und der Macht ist – alles was Dazwischen sein könnte.

Dieses Dazwischen kommt jedoch immer hervor, wenn es eine Unterbrechung des reibungslosen Verkehrs gibt. Durch eine Störung im Bahnverkehr oder eine Straßenblockade. Das Dazwischen wird dann zu dem, was man selbst entscheidet mit seiner Zeit zu machen. Unterbrechungen im Verkehr stören vor Allem den kapitalistischen Alltag. Wie sehr man selbst Teil, oder eben Ware, innerhalb des Kapitalismus ist, lässt sich dann am eigenen negativen Empfinden auf diese „Störungen“ erkennen. Die traurige Erkenntnis, dass man so sehr Teil der Routine der Arbeit ist und sich nicht vorstellen kann, sich diese freien Minuten oder Stunden anzueignen. Die zufälligen oder bewusst herbeigeführten Störungen der Infrastruktur sind Angriffspunkte gegen die Herrschaft (der Ware). Es ist kein Zufall, dass bei Protesten, wie z.B. der Gelbwesten in Frankreich und bei Aufruhren über den ganzen Erdball verteilt von den Revoltierenden Infrastruktur und Verkehr absichtlich lahmgelegt werden. Denn sie sind die Zahnräder, die die Herrschaft und somit die Ausbeutung und Entfremdung am Laufen halten.

Schlussendlich möchte jede*r irgendwo hin. Es ist jedoch was anderes, wenn dieses Irgendwo bereits im Voraus durch das Diktat der Ware festgelegt ist, als wenn ich selbstbestimmt entscheide, wie, wann und wo ich hin will!

 

Unbekannte haben einen Brandanschlag auf die Fernbahngleisanlage der Deutschen Bahn verübt. Der komplette Fernverkehr Richtung Polen und Russland ist betroffen und die S Bahn Richtung Erkner fährt auch nicht mehr. Die Täter haben in Höhe Waldowallee an einer Fußgängerunterführung mit einer brennbaren Flüssigkeit den Kabelschacht neben den Gleisen in brannt gesetzt. Sämtliche Kabel wurden dabei durch die Flammen zerstört, Hauptstromkabel der S Bahn, Steuer – und Kommunikationleitungen des Fernverkehrs.

Sabotage an Bahngleisen

Für den 20. September 2019 rief die Bewegung Fridays For Future zu einem „globalen Streik fürs Klima“ auf. Unbekannte kappten die Zugverbindung zwischen Berlin und dem Flughafen Schönefeld, sowie Erkner, Cottbus und Frankfurt (Oder). In einem Bekenner*innenschreiben, welches auf de.indymedia.org erschien, heißt es: „Zu einem richtigen Generalstreik gehören auch Blockaden und feurige Sabotageaktionen. Menschen, die nicht pünktlich zur Arbeit, zur Schule, zur Universität kommen, verursachen einen wirtschaftlichen Schaden.“ Die Wirtschaft und Politik als Hauptverursacher der „Klimakrise“ und als Angriffspunkt. Weiter im Schreiben heißt es: „Wir sind uns bewusst, dass man versuchen wird, zwischen friedlichem Protest auf der Straße mit 100.000 Menschen am Freitag und Sabotageaktionen den Keil der Distanzierungsaufforderungen zu treiben. Aber: Sachen empfinden keine Gewalt! Ein brennender Kabelstrang verhindert lediglich, dass Menschen pünktlich – oder im besten Fall gar nicht zur Arbeit kommen. Ein Generalstreik hat genau dieses zum Ziel – die wirtschaftlichen Aktivitäten zum Erliegen zu bringen. Wir trennen nicht zwischen Streiks an den Schulen, der Arbeit und Blockaden und Sabotageaktionen“.

 

Blick nach Athen

Exarchia, ein zentrales Athener Stadtviertel, ist seit vielen Jahrzehnten ein sozial und politisch umkämpfter Ort; Ausgangspunkt von Revolten gegen die Herrschenden und Zuflucht marginalisierter Gruppen. Seit einigen Jahren planen die Regierungen, den Platz des Viertels, die Plateia Exarchion, zu einer Station der neuen U-Bahnlinie 4 zu machen. In einem Text dazu, der bereits im März auf athen.indymedia.org erschien, heißt es: „Obwohl in Exarchia bereits Kapitalismus und Ausbeutung aufgrund der Interessen der kleinbürgerlichen Geschäftsinhaber*innen und der verschiedenen in der Nachbarschaft tätigen Mafias existiert, ist die Ankündigung der Pläne zum Bau einer U-Bahnstation ein Ruf nach größeren kapitalistischen Investitionen.“ Die Anbindung an den unterirdischen Nahverkehr würde Konsumangebote, AirBnB und Unternehmen erreichbarer und damit attraktiver für den Markt machen. Bisher sind die Straßen des Viertels nur zu Fuß oder per Bus erreichbar. Die Buslinien sind eine fragile Infrastruktur, abhängig von der Passierbarkeit der Straßen und dadurch auch von Barrikaden und Zusammenstößen von Aufständischen mit der staatlichen Ordnungsmacht.

Eben diese, sowie private Sicherheitsdienste und ein Ausbau digitaler Überwachung müssten vor, während und nach der Bauphase die Aufrechterhaltung des Plans gewährleisten. So ist das Vorhaben Teil herrschaftlicher Strategie zur Aufstandsbekämpfung, um die Nachbarschaft zu einem von der Herrschaft dominiertem Territorium zu machen. Der Platz würde die Möglichkeit verlieren, ein Ort des Zusammenkommens und Verweilens, der allgemeinen Zugänglichkeit zu sein und sich in einen Durchgangsort des Menschen- und Warenstroms verwandeln.

Ende des Jahres soll der Vertrag mit einem der drei Konglomerate geschlossen werden, die sich für den Bau beworben haben: TERNA- Vinci- Siemens, AKTOR- Ansaldo- Hitachi oder J&P Avax- Alstom- Ghella. Die Bauarbeiten sollen dann Ende 2020 beginnen und um die acht Jahre andauern.