Alexa die Schließerin, deine beste Freundin

Über ein allgegenwärtiges smartes Gefängnis

Ein neues Gefängnis wird errichtet, unter freiem Himmel. Es ist human, hilfsbereit und freundlich. Die Gitterstäbe sind Fenster zu Informationen in der ganzen Welt, die Schließerin ist deine beste Freundin. Die Gefängnisierung der Gesellschaft schreitet voran, Systematiken des eingesperrt-Seins dehnen sich etwas modifiziert überall hin aus und verändern wie wir leben, was wir tun und wie wir Beziehungen führen. Die Smartifizierung des Lebens, also die Ausstattung unserer Umwelt mit Sensoren, die mit Computern verbunden sind, um die Daten auszuwerten und zu benutzen, heben Kontrolle und Fremdbestimmung auf eine neue Stufe. Ein immer dichter werdendes Netz wird um jedes Individuum gesponnen, in dessen Inneren man angeblich “Frei sein“ darf und immer wählen kann – zwischen den vorgegebenen Optionen. Wer andere Wege geht, wird von vielen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen. Der Ausschluss bei Verweigerung ergänzt den Einschluss bei Übertretung der Regeln der Herrschenden.

Smarte Kontrolle statt physische Einsperrung

„Smarte“ Geräte werden die nächsten Jahre extrem zunehmen, vor allem auch durch die 5G-Netz-Einführung, Glasfaserkabel und immer besser funktionierenden “Künstliche Intelligenzen“. Diese Gegenstände haben Kameras, Interaktionsdisplays und Mikrofone; sie erzeugen eine Dauerschleife der Daten und Interaktionen zwischen User und Anbieter. Und dadurch zwischen den Menschen. Kommunikation verläuft also extrem kontrolliert, auch wenn wir davon oft erst einmal nichts mitbekommen. Diese Kontrolle der Kommunikation ist ein wichtiges Merkmal in jedem Gefängnis, sie ermöglicht bei Bedarf eine Isolierung der Kontrollierten, zumindest aber ist sie eine enorme Einschränkung der Interaktionsmöglichkeiten, auch eben weil die Gefangenen wissen, dass sie beobachtet werden und unangenehme Konsequenzen drohen. Die smarte Kontrolle jedoch soll in jeder Situation funktionieren, also bleibt sie meistens subtil, da das Ausmaß nicht direkt erfahrbar werden darf, um nicht abzuschrecken. Sie schränkt in dem Sinne ein, dass die Art und Weise der Kommunikation von Firmen durch ihre Algorithmen vorgegeben wird, wenn wir ein bestimmtes Programm benutzen, wie beispielsweise facebook. Die direkte Kontrolle erfolgt hier über nie wieder gelöschte Aufzeichnung aller Aktionen und den Vorgaben der Anbieter durch Nutzungsbedingungen und vor allem auch Verwertung und Verkauf der Informationen. Eine indirekte Kontrolle ergibt sich aus der andauernden beobachteten Perspektive der User*innen. Umso mehr sich in Interaktionen mit technischen Geräten, “Sozialen“ Medien etc. bewegt wird, desto mehr Druck gibt es, den vorgegebenen Standards zu genügen, um nicht stigmatisiert oder ausgegrenzt zu werden (was bei intensiven Nutzer*innen einer Strafe gleichkommt). Die fortschreitende Selbstregulierung, die im Design der Programme, Geräte und Webseiten von Firmen bewusst verankert ist, ist eine freundliche (Selbst-)Disziplinierungsmaßnahme, die Gefügigkeit garantieren soll. Unsere Umgebung bestimmt also auch immer mehr wie Menschen mit einander umgehen und sich bewegen. Und da die virtuelle Welt angeblich den Blick in die Welt ermöglichen soll, aber gleichzeitig alles erfasst, bewertet und oft auch manipuliert, wird Alexa zur kontrollierenden Schließerin und facebook zur Zelle mit verschobenem Blick in die Welt.
Psychotricks statt Prügel

Heute weiß man, dass einfache Brutalität und Repression zwar einschüchtern und Menschen brechen können, psychologische Tricks, subtile Kontrolle, Feedback, “Anstupsen“ durch kleine News etc. aber wesentlich effizienter wirken, um auf menschliches Verhalten von oben herab einzuwirken. Auch moderne staatliche Strafsysteme setzen immer mehr auf “Resozialisierung“, Fußfesseln, Belohnungssysteme im Knast, “Prävention“ sowie die Selbstkontrolle durch die Schließerin im eigenen Kopf. Diese Methoden des*der allgegenwärtigen Beobachter*in, der angeblich allwissenden Maschinerie und der absoluten Verletzbarkeit, weil Transparenz des*der Einzelnen, sind Tendenzen zur totalen Überwachung und Verhaltenskontrolle. Doch auch die Mittel der direkten Repression durch Strafe, Bullen, Militär oder Knast wird der Staat wohl weiter anwenden, wenn er sich bedroht fühlt oder seine Regeln offensiv überschritten werden.

Einschluss statt Ausschluss

Die smarte Welt setzt auf Einschluss, genau wie das Gefängnis. Wo es früher Vielen vorenthalten war, an diesem und jenem teilzunehmen, versucht das digitale Leben möglichst viele teilhaben zu lassen (was nicht bedeutet, dass es weniger Privilegien und Machtgefälle gäbe als vorher, im Gegenteil). Die intensive Nutzung von Mobiltelefonen, digitalen Netzwerken etc. sind die Anfänge einer Mauer, die schwer zu überwinden ist. Wenn in der Schule oder in der Uni Lerninhalte und Verabredungen nur noch über facebook, whatsapp und Co, getan werden, was tue ich dann? Wir sind erst am Anfang. Die extreme Smartifizierung vieler uns umgebenden Dinge der nächsten Jahre und die damit verbundene Verlagerung von Kommunikation und Alltäglichkeiten ins Virtuelle werden ein Außerhalb kaum noch zulassen – zumindest nicht ohne weitgehende Konsequenzen wie beispielsweise der Verzicht auf ein Studium oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die Vereinnahmung aller Lebensumstände, wie sie ein Gefängnis im Extremen darstellt, ist wesentlicher Bestandteil des digitalen Angriffs. Die „freiwillige“ Teilnahme wird also durch die Schaffung von Fakten in der Umgebung erzwungen.

Freiwilligkeit statt Zwang

Direkter Zwang ist mit Unbehagen verbunden. Deshalb bedienen sich neue Herrschaftsmethoden auch Techniken der Gefügigkeit, die weitaus effizienter sind, ja sehr „smart“ eben. So wie im Gefängnis immer mehr über Belohnungen und Entzug von Privilegien geregelt wird, belohnen auch die meisten digitalen Anwendungen. Hunderttausende Spiel- und Internetsüchtige allein in Deutschland zeugen von der Gefährlichkeit, wobei wir alle selbst wissen wie sehr wir warten, auf die nächste gute Nachricht unter vielen schlechten oder wie gut es sich anfühlt, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Diese psychologischen Tricks erzeugen schnell extreme Abhängigkeiten mit möglichen Entzugserscheinungen. Gepaart mit einer totalen Vereinnahmung durch Einschluss ein supereffektives Instrument, denn Abhängige verzichten auf freie Entscheidungen, um weiter dabei sein zu können. Der Einschluss als Belohnung.

Nicht im Gefängnis zu sein bedeutet nicht unbedingt „frei“ zu sein, denn diese Gesellschaft ist bestimmt durch die Herrschaft des Menschen über den Menschen. Methoden des Gefängnisses und der Strafe finden sich schon immer als Techniken von Staaten und Konzerne wieder, damit der Laden läuft wie gewohnt und Macht, Geld und Privilegien ausgebaut werden. Gesetze und deren Ausführende, die Logiken des Marktes und dessen Zwänge oder ungerechte Eigentumsverhältnisse – dies sind Gegenteile von Freiheit, die auf gegenseitiger Hilfe, Autonomie, Selbstorganisierung, Verantwortung und individueller Initiative beruht. Doch „smarte“ Wohnungen, Gadgets, Kameraüberwachung etc. und die Verlagerung des Lebens ins Virtuelle verfeinern die Strategien derer, die viel Macht, Geld und Einfluss haben. Was früher noch Science-Fiction war, ist heute für viele Normalität. Überwachung wird oft kaum noch in Frage gestellt oder zugunsten von Luxus, Faulheit und Dopamin-Ausschüttung (Glücksgefühle) in Kauf genommen. Wir begeben uns freiwillig in die totale Fremdbestimmung. Selbstbestimmung aber gab und gibt es sogar in jedem Knast. Es geht darum, sich manchem zu entziehen, aber auch sich treu zu bleiben und zu wissen wer der Feind ist – auch wenn die Schließerin plötzlich Guten Morgen sagt. Und sich bewusst zu machen, dass viele neue Strategien der Kontrolle und Überwachung subtil und nicht sofort ersichtlich sind. Sowie, dass die direkte Kommunikation zwischen Menschen immer noch die selbstbestimmteste ist, denn es geht nicht darum seine Meinung frei sagen zu dürfen, sondern das ganze Leben frei zu gestalten. Ohne jeden Knast. Und solange wir das nicht können, gibt es Firmen und Staaten die dafür hauptsächlich verantwortlich sind. Diese Strukturen, ihre Netze und Leitungen sind physisch angreifbar, genauso wie qualitative Beziehungen und alle Handlungen im Leben auf selbstbestimmter Basis geübt werden können.

Alexa, Siri, Google Assistant…

sind Schnittstellen auf Endgeräten wie Smartphones oder extra dafür konzipierte Lautsprecher mit Mikros und teilweise Kameras. Diese Apps reagieren auf Zuruf oder Gesten und interagieren mit einer „Künstlichen Intelligenz“ auf den Servern der Anbieter wie Amazon, Apple oder Google.

Eine Art Diener, die beispielsweise Friseurtermine für dich buchen, Musik oder Serien spielen, telefonieren oder die Heizung regeln soll. Ohne Widerrede, absolut praktisch und ohne Anstrengung. Einmal abgesehen von der damit einhergehenden Verkümmerung des Denkens und der eigenen Fähigkeit, Dinge zu regeln, analysieren und speichern die Anbieter Stimmprofile, Zeiten, Orte, Bewegungsmuster, Kaufverhalten, Sozialverhalten und vieles mehr. Zwischenmenschliches wird abgelöst durch die Interaktion mit Geräten und den zentralen Rechnern von Konzernen, die ausschließlich die maximale Ausbeutung im Blick haben.

Mehr dazu im Text „My little Big Brother“ bei anarchistischebibliothek.org