Der Wind dreht sich und der rechte Mob schwimmt zufrieden im Fahrwasser von Politik, Polizei und Medienhetze
Es gab eine Zeit, da war der Begriff Gentrifizierung noch einer kleinen Gruppe Sozialwissenschaftler*innen vorbehalten. So sehr, das eine Sprachanalyse des BKA`s von Bekenner*innenschreiben aufgrund dieser Wortschöpfungen zu einem linken Wissenschaftler der zum Thema Stadterneuerung forscht, führte, und dieser der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bezichtigt wurde. Verurteilt wurde er dafür nie. Diese Geschehnisse fallen in eine Zeit, wo in den Innenstadtbezirken Berlins teure, brennende Autos für Schlagzeilen sorgten und die Politik unter dem damaligen Innensenator Körting den Begriff der „Kieztaliban“ prägte. Damit meinten diese nicht etwa die Immobilienwirtschaft, welche mit allen erdenklichen Mitteln versuchen Mieter*innen für die Rendite loszuwerden, sondern diejenigen, die sich dem Ausverkauf der Stadt entgegen stellen. Es war der Beginn einer Rhetorik die sich bis heute fortsetzt und darauf abzielt, nicht über die eigentlichen Probleme reden zu müssen und das Entstehen einer breiten Bewegung, die sich nicht auf Forderungen und Bitten beschränkt, auf biegen und brechen zu verhindern. Der Preis dafür ist, dass man sich notfalls mit Faschisten gemein macht oder ihnen zumindest mutwillig in die Hände spielt.
Nun, aufhalten ließ sich die Aufwertung durch das Abfackeln hochwertiger Spritschleudern nicht, doch zweifelsohne haben diese eine Auseinandersetzung provoziert und das Wort „Gentrifizierung“ damals auf die Agenda sozialer Konflikte gesetzt. Doch auch der Politik gelingt es bisher nicht, diese Kämpfe totzukriegen oder zu befrieden. Weder durch die harte Hand eines Frank Henkels, der einst großmäulig ankündigte, dass die Rigaer Straße nicht sein Vietnam würde, was letzten Endes dann irgendwie doch so kam. Noch mit Pseudo-Maßnahmen wie dem Mietendeckel, einer Rot-Rot-Grünen Regierung, welcher die Probleme bestenfalls verschiebt. Ganz im Gegenteil, auf die stetige Zuspitzung der Situation folgten unzählige Ereignisse, wo die Wut über Mieterhöhung, Luxussanierung und Zwangsräumungen in verschiedenster Form sichtbar wurde. Zuletzt im Zusammenhang mit den Räumungen der Kiezkneipe „Meuterei“ oder, im Herbst, des Anarcha-Queer-Feministischen Hausprojektes in der Liebig Straße 34. Einem Haus, das nicht nur wegen dem Widerstand gegen die Räumung und den Eigentümer Padovicz, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass in diesem seit Ende der 90er Jahre keine cis-Männer lebten, den reaktionären Mob auf den Plan rief.
Es ist nichts Neues und auch nicht weiter überraschend, dass die Bullen keine Freund*innen von Queer-feministischen Ideen sind und Gerichte stets im Sinne der Besitzenden urteilen. Auch nicht, dass die Politik sich zum willigen Handlager des Kapitals macht und die Presse sich mit reißerischen Storys eine Steigerung der Verkaufszahlen erhofft. Doch wenn nach einer Zwangsräumung, bei der dutzende Menschen von einem Eigentümer, der für seine miesen Machenschaften weithin bekannt ist, auf die Straße gesetzt werden, nicht über die Wohnraumproblematik in dieser Stadt gesprochen wird, sondern in sozialen Medien tagelang das Hashtag #Drecksloch trendet, muss man sich schon fragen was hier gerade schief läuft.
Dabei ging der Räumung bereits Wochen und Monate eine Kampagne voraus, wo sich eine fragwürdige Allianz aus Medien, Polizeigewerkschaft, reaktionären Politiker*innen von AfD bis SPD und einer handvoll Eigentümer*innen aus den schicken Neubauten zur Aufgabe gemacht haben, ein Bild zu zeichnen, wie die Bewohner*innen der Projekte im Friedrichshainer Nordkiez die Nachbarschaft terrorisieren würden. Allen voran der RBB mit dem Kontraste-Format, die dem Thema ganze 30 Minuten Sendezeit einräumten. Dabei wird die immer selbe Leier vom vermeintlichen Zwillenbeschuss auf Kinderzimmer hoch und runtergespult, als würde diese durch das ewige Wiederholen wahrer werden. An anderer Stelle wird ganz selbstverständlich ein Möchtegern-Hausverwalter einer dubiosen Briefkastenfirma, der vor Gericht bereits mehrmals scheiterte seine Zuständigkeit zu belegen, dabei begleitet, wie er mit einem Trupp Bauarbeiter regulär vermietete Wohnungen betritt und teils zerstört. Die sonst ach so gesetzesgläubigen Law & Order Fans, scheint das aber nicht weiter zu stören, geht es hier doch gegen die verhassten Chaoten. Man bemüht sich erst gar nicht Stimmen aus dem Kiez einzufangen, die nicht Nutznießer*innen der Aufwertung sind oder dabei ihre ganz eigene Sicherheitspolitische Agenda verfolgen. Doch diese Stimmen gäbe es zuhauf. Denn wer dort etwas länger wohnt, weiß über die rücksichtslose Aufwertung, die bereits vielen Nachbar*innen zum Verhängnis wurde, oder sind gar selbst davon betroffen. Das solche Reportagen eines Senders, der sich zumindest auf dem Papier der Objektivität verschrieben hat, dann vor allem am rechten Rand Applaus ernten, scheint den Akteur*innen, wenn es denn nicht Kalkül ist, zumindest völlig egal zu sein.
So wurde die anstehende Räumung der Liebig 34 medial vorbereitet, als ginge es dabei um die finale Schlacht, die den Kiez nun endlich von den Strapazen, welche ihnen die Hausprojekte abverlangen, befreien würde. Das Schaulaufen von zweieinhalbtausend Bullen, mitsamt ihrer ganzen Gerätschaften, war dabei bloß Teil dieser Inszenierung. Folgerichtig wurde die gegnerische Burg nach der Eroberung, den nach spektakulären Motiven haschenden Fotografen der Hauptstadtpresse zum Fraß vorgeworfen. Ja selbst stadtbekannten Neonazis mit Presseausweis gewährt man mittlerweile willig den Zutritt zu den geräumten Objekten. Die Polizeigewerkschaft twitterte sichtlich erfreut, die zur Räumung angetretenen Hundertschaften zum Bockwurstfressen vor die Friesenwache, während diese noch schnell für ein Selfie im Hof des geräumten Hauses posieren, um es zwischen Judenwitz und Hakenkreuz in der Chatgruppe zu platzieren. Der Sieg gegen die „Zecken“ soll schließlich gefeiert und für die Nachwelt festgehalten werden. Ganz normaler Alltag bei der Berliner Polizei.
Sicher ist es kein neues Phänomen, dass Sicherheitsbehörden im Zusammenwirken mit Presse und Politik in ihrem Sinne Stimmungen erzeugen und steuern. Doch was dies im Zeitalter von rechtsextremen Filterblasen und Echokammern in sozialen Medien mit sich bringt hat durchaus eine neue Dimension. So werden z.b. bis heute die Fotos aus der geräumten Liebig 34 gepaart mit fake Bildern, die eine simple Googlesuche nach dem Begriff „Messi-Wohnung“ ausspuckt, hundert und tausendfach von rechten Kanälen geteilt und weiterverbreitet, um die Bewohner*innen zu diffamieren. Diese werden kommentiert mit sexistischen Sprüchen sowie unverhohlenen Mord und Vergewaltigungsandrohungen von Trolls die sich am heimischen Computer in ihrem Weltbild bestätigt fühlen. Wo das hinführen kann, haben uns die vergangenen Jahre leider bereits mehrfach gelehrt. Auch die Shishabars waren erst einer medialen Kampagne ausgesetzt bevor ein Rassist, dadurch ermutigt, 9 Menschen erschoss. Aber dann wollen all die Tom Schreibers (SPD, pathologischer Nordkiez-Hasser), Burkard Dreggers (CDU, will Häuser gleich abreißen) oder Benjamin Jenros (GdP, Rigaer Staße. = Terrorismus), die voller Hingabe diese Hetzte und Stimmungsmache anfeuern, wieder nichts damit zu tun gehabt haben. Doch genau solche Leute sind es, unter anderem, die dem rechten Mob in diesem Land zur Zeit einen Nährboden bieten. Und deshalb sind sie gefährlich.
Um das anzuerkennen geht es aber nicht darum, den Widerstand gegen die Stadt der Reichen als friedfertig und harmlos abzutun. Ganz im Gegenteil, wer sich auf die Fahne schreibt die herrschenden Unterdrückungsverhältnisse abschaffen zu wollen kommt nicht drumherum die herrschenden Spielregeln zu brechen und in letzter Konsequenz die Konfrontation einzugehen. Aber es ist eben ein riesiger Unterschied, ob sich unsere Wut an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten artikuliert und gegen die Macht und ihre Strukturen richtet, oder ob diese nach unten Tritt und auf die Schwächsten der Gesellschaft abzielt.
So gesehen hatte diese Räumung auch etwas Gutes. Bei all der Ohnmacht, die solch ein Ereignis begleitet ist es eben eine Freude zu sehen wenn die Schaufenster der Konsumwelt in Scherben liegen, ihre Statussymbole in Rauch aufgehen und die Staatsmacht auch mal flitzen muss. Wenn die Wut die Angst verdrängt, wenn Autorität zu bröckeln beginnt und die Macht Risse kriegt. Wer das aber mit den Taliban gleichsetzt oder mit Terror verwechselt ist entweder ziemlich dumm oder will vom eigenen Handeln ablenken. Manche vielleicht auch beides. Wie dem auch sei, wird dabei Ursache und Wirkung verkannt und vergessen von wo die alltägliche Gewalt ausgeht, die uns von einem selbstbestimmten Leben trennt.