Dass es jene gibt, die von einem grundlegenden Bedürfnis profitieren und damit spekulieren und andere, die ihren letzten Cent zusammen kramen müssen, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben, liest sich ganz weltfremd betrachtet unglaublich absurd. Das Eigentum an Wohnraum, die kapitalistische Logik der Erwirtschaftung von Profit, der demokratische Staat als Garant dieser Ordnung, als Erfüllungsgehilfe von Zwangsräumungen, verantwortlich für die Verödung des Stadtbildes zu einer kameraüberwachten Betonwüste. Die Verdrängung armer Menschen aus der Innenstadt, die Tatsache, dass ein stets größer werdender Anteil der Lohnarbeit für die Miete aufgewendet werden muss oder viele erst gar keine Wohnung finden – dies sind die Bedingungen, in denen wir leben, und sie sind nicht absurd sondern harte Realität. Es sind Bedingungen, die einen sozialen Konflikt eröffnen, einen Konflikt um das (Über-)leben in der Stadt. Zwischen den Menschen und denen, die sie beherrschen und ausbeuten. Zwischen Börsengewinnen und militanten Angriffen gegen die Akteur*innen der Verdrängung. Zwischen der Friedhofsruhe leerer Plätze und vielfältigem Leben, das die Straßen füllt. Zwischen tausenden Menschen, die gemeinsam bei Mietendemos auf die Straße gehen und Knüppeln, die Neubesetzungen geräumter Gemüseläden gewaltsam beenden.
Wenn sich nun eine Regierung dazu bewegen lässt, eine Maßnahme zu ergreifen, die vermeintlich auf die Nöte der Bevölkerung reagiert, dann tut sie dies nicht aus sozialen Gründen sondern aufgrund eigener Interessen, die in der Natur der parlamentarischen Demokratie liegen: politischer Machterhalt und Bewahrung der Ordnung für den Schutz des höchsten Gut der kapitalistischen Gesellschaft, das Privateigentum.
Und so ist der Mietendeckel nichts anderes als eine staatliche Reaktion auf einen sich zuspitzenden sozialen Konflikt im Mietkampf. Und auch die Beschreibung des Mietendeckel als „unverhohlenen Klassenkampf“ durch den Eigentümer- und Lobbyverband „Haus und Grund“, lassen sich LINKE, SPD und Grüne an diesem Punkt wahrscheinlich gerne gefallen. Sind ihre hohlen Versprechen doch von der Taktik genährt, soziale Spannungen aufzugreifen, zu reagieren und damit Wählerstimmen einzufangen. Sicher ist, dass wir hier nicht von Planwirtschaft und Sozialismus sprechen können, sondern von einem geschickten Eingriff in die öffentliche Debatte zu einem kritischen Zeitpunkt. Nach einigem Hin und Her der Parteienlandschaft bedeutet der jetzige Kompromiss vom rot-rot-grün geführten Senat die Einfrierung der Mieten ab dem 11.Januar 2020 – auf dem Stand vom 18.06.2019 – für fünf Jahre. Ausgenommen Neubau und Sozialwohnungen. Die Höchstmiete für Neuvermietungen soll, nicht wie geplant bei 7,97€/m², sondern nun bei 9,80€/m² liegen, angelehnt an den Mietspiegel 2013, nicht an den von 2011, und ist an das Baujahr geknüpft und nicht die Lage. Die Miete darf nicht über 30% des Haushaltseinkommen betragen. Übersteigt sie diese Grenze, sollen die Mieter*innen mithilfe eines Antrags eine Absenkung verlangen können. Gegen eine zu starke Absenkung der Mieten sanierter Wohnungen, hilft ein Aufschlag von 1,40€/m². Voraussetzung ist, dass die Arbeiten in den letzten 15 Jahren erfolgten. Kosten für Modernisierungen können mit maximal 1€/m² auf die Mieter*innen umgelegt werden, stärkere Mieterhöhungen sind beim Bezirksamt genehmigungspflichtig, aber möglich. Ein Gesetzesentwurf, der sich nun der „atmende“ Mietendeckel nennt.
Im Juni löste die siegessichere Vorankündigung des Senats prompte Reaktionen panischer Vermieter*innen aus: so flatterten, auf die Tage vor dem 17. Juni datiert, bei vielen Mieter*innen noch schnell Mieterhöhungen in die Wohnung, welche sicherlich nicht nur auf den im Mai neu erschienenen Berliner Mietspiegel zurückgeführt werden können. Zu guter Letzt darf nicht vergessen werden, dass der Mietendeckel auf fünf Jahre befristet ist. Was passiert also nach dieser recht kurzen Zeitspanne auf dem Wohnungsmarkt? Inwieweit werden sich die Bedingungen für die Mieter*innen und das Stadtbild in dieser Zeit verändern? Lassen wir uns von dieser Taktiererei, von diesen Versprechen befrieden?
Für die Erhaltung des demokratischen Staats ist es für diesen notwendig, nicht zu stark zu polarisieren, zum Beispiel durch permanente gewalttätige Niederschlagung von Protesten, sondern anhand politischer Taktiererei soziale Bewegungen zu zersplittern, zu vereinzeln, gegeneinander in Stellung zu bringen und die parlamentarische Ebene als die einzige, zur Veränderung fähige Ebene dar zu stellen. Teile und Herrsche. Zahlreiche Bewegungsmanager_innen beteiligen sich an diesem demokratischen Spiel, weil sie sich davon Anerkennung im gesellschaftlichen Gefüge und Macht versprechen. Zu der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wurde dazu vor kurzem eine sehr gute Analyse verfasst (Neues sozialrevolutionäres Stadtentwicklungsprogramm Mietkampf & Anarchie 2019. Enteignen!), die die Kampagne als Luftnummer, als fettes Geldgeschenk an die Immobilienwirtschaft und ihre Macher*innen als politische Verräter*innen an der Mietkampfbewegung der Stadt bezeichnet. Denn die Forderung der Enteignung bedeutet in diesem Fall Eigentümerwechsel durch fette Entschädigung. Eine Ware kann nun mal nicht so – mir nichts, dir nichts – ihres Wertes entzogen werden.
Also, Achtung vor dem Trugschluss. Die Befriedungsstrategie des rot-rot-grünen Senats ist die gleiche wie die des Friedrichshainer Baustadtrats Florian Schmidt, welcher mit dem Kauf von Häusern, in denen sich Hausgemeinschaften organisieren und gegen Investor*innen wehren, in regelmäßigen Abständen die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse und Proteste bestimmt.
Die „Politik ist [also] in der Lage, die Bürger zu schützen“ und das „Beispiel in Berlin macht Mut“ (eine taz-Journalistin als Reaktion auf den Verkauf von 670 Wohnungen der Karl-Marx-Allee durch die bisherige Eigentümerin Predac an die staatliche Gewobag statt an die Deutsche Wohnen)? Nein. Delegieren wir an keine Partei, keine*n Bewegungsmanager*in, keine Autorität die Entscheidung über unsere Leben. Lassen wir uns nicht von ihren Versprechungen einlullen. Der Kampf gegen steigende Mieten, gegen knappen Wohnraum, gegen Obdachlosigkeit und die Verwaltung unserer Leben ist ein Kampf, welcher das kapitalistische Privateigentum und die Garanten für dieses System der Ausbeutung und Unterdrückung grundsätzlich in Frage stellt und angreift. Die staatliche Reaktion wie der Vorschlag des Mietendeckel ist auch ein Ausdruck der Angst der Herrschenden vor dem Brodeln im Topf, in dem jede*r ein Dach über dem Kopf bei Regen und Kälte, in gewachsener Nachbarschaft und sozialen Zusammenhalten braucht. Sicher sind wir nicht so stark und nicht so viele, dass wir von heute auf morgen alle Konzerne enteignen und die Parlamente niederreißen können, keine Miete mehr zahlen und keinen Knüppel mehr spüren.
Wir können jedoch stetig daran arbeiten, auf Augenhöhe und direkt miteinander in Diskussion zu treten und kollektive, solidarische und offensive Momente zu schaffen, die uns das Leben spüren lassen. Mit Besetzungen nehmen wir uns den Leerstand und praktizieren die Enteignung von unten und selbstorganisiert. Schaffen wir antagonistische Infrastruktur und verteidigen wir die Bestehende gegen Aufwertung und Verdrängung. In Nachbarschaftsversammlungen zerstören wir die Vereinzelung der kapitalistischen Stadt und lernen uns kennen. Wir könnten in den Mietstreik gehen und unsere Häuser selbst verwalten, statt Hausverwaltungen bestimmen zu lassen und unnötige Kosten aufzubringen. Wir können uns in offenen Räumen treffen und einladen, den vielfältigen Angriff auf die Akteur*innen der Stadtumstrukturierung zu diskutieren und auszuprobieren. Geben wir Politiker*innen keinen Raum den Widerstand einzunehmen, verjagen wir sie aus unseren Versammlungen und nehmen wir ihnen die Möglichkeit, das Theater des offenen Ohrs für die Bedürfnisse der Menschen zu spielen. Bilden wir informelle Banden und zerstören wir die Warenwelt, Eigentum und die herrschende soziale Ordnung. Bauen wir kollektive Lebensformen, Beziehungen und Affinität zueinander auf, die auf Freundschaft und Vertrauen basieren statt auf Abhängigkeit und Zwang. Gehen wir raus auf die Straße und geben wir keinem Herrscher, keinem Ausbeuter, keinem Erfüllungsgehilfen der mörderischen Ordnung die Verantwortung unserer Leben in die Hände sondern übernehmen wir sie selbst, für uns, mit anderen. Bringen wir den Topf zum Kochen.
Der Berliner Mietstreik 1932/33
Berlin-Mitte, Swinemünder Straße: Am 27.7.1932 beschließt eine Versammlung von 180 Mietparteien von 14 Mietshäusern ab dem 1.8. in den Mietstreik zu treten. Häuser im Prenzlauer Berg schliessen sich an. Die Staatsgewalt reagiert schnell und verhaftet ganze Hausversammlungen. Der Schuß geht nach hinten los. Zwei Tage später befindet sich das ehemalige und vermietete Stadtgefängnis am Molkenmarkt, auch „Wanzenburg“ genannt im Mietstreik. Mit Erfolg: nach einem Monat Streik werden die Mieten um 40-42% herabgesetzt, alte Mietrückstände gestrichen und Renovierungskosten vom Pächter übernommen. Das Bild des übermächtigen Hausbesitzers bröckelt, die Angst, durch Räumungen auf die Straße gesetzt zu werden, wird aufgrund der hohen Mobilisierung unter Mieter*innen zu einem kalkulierbaren Risiko. Die Weltwirtschaftskrise und die damit verbundene Rationalisierungswelle, Massenarbeitslosigkeit und der Abbau von Sozialleistungen machen die Miete unbezahlbar. Mehr und mehr Häuser treten in den Streik. Ab dem Herbst 1932 versucht die SPD Einfluss auf Streikverlauf und -ziele zu nehmen, die Dynamik der Bewegung ist so groß, dass sie sich nicht länger raushalten will. In der Streikleitung, die von Vertretern der SPD und KPD, aber auch Parteilosen geführt wurde, sind Anfang 1933 etwa 3.300 Mieterräte vertreten, was auf eine ebenso große Anzahl der streikenden Häuser stadtweit schließen lässt.
Im Wedding tritt ab dem 1.11. ein ganzer Straßenzug in den Mietstreik: die Kösliner Straße, auch als Herz des Roten Wedding bezeichnet und bekannt geworden durch Barrikaden im Blutmai 1929 gegen die scharf schiessenden Bullen. Seit 1927 sind dort die Häuser dem Verfall preisgegeben, die Mieter*innen organisieren sich selber und führen Reparaturen auf eigene Faust durch. Das Arbeiterlokal „Rote Nachtigall“ ist das Lokal der kommunistischen Straßenzelle und Treffpunkt von Arbeiterorganisationen.
Ab Januar 1933 werden die Meldungen über den Mietstreik spärlicher. Am 30. Januar übernimmt Hitler die Macht, der soziale Konflikt wird zu einer Frage des Interessensausgleich innerhalb der nationalen Volksgemeinschaft. Ein letzter Versuch eines Generalstreiks scheitert. Tausende von Oppositionellen landen in den Folterkellern des Faschismus. Aus dem Lokal „Rote Nachtigall“ wird im Aprill 1933 ein Sturmlokal für einen SA-Trupp gemacht. Am 20.4.1936 ordnen die Nazis die Einfrierung der Mieten in Deutschland an. Eine Regelung, die bis in die 1950er Jahre in Westdeutschland anhält und in der DDR bis zu ihrem Ende gilt.