Vom Recht auf Wohnen, losen Versprechen und anderen Fata Morganas
Es gibt viele Wege und Werkzeuge, um gegen die geregelte Ordnung dieser Welt zu komplottieren. Die soziale Ordnung birgt Unterwerfung und Disziplin in sich. Die ordentlichen Verteidiger*innen dieser Realität sind diejenigen, die Ausbeutung und Unterdrückung durch ihren unermesslichen Wunsch nach Recht und Ordnung vorantreiben. So gibt es Menschen, die die Macht haben über anderer Leben zu entscheiden, durch ihre politische und wirtschaftliche Position. Diese politische Oberschicht, oder wie sie so charmant genannt werden „Meinungsvertreter*innen“, sind ein entscheidender Teil des kapitalistischen und demokratischen Fortbestehens, dessen Ordnung gewisse Menschen an der Macht sieht und andere ganz weit unten in der sozialen Hierarchie.
Es geht hier nicht um die unwahrscheinliche Antwort auf die Klassenfrage. Wo ist die Klasse, wer ist sie, gibt es sie überhaupt noch? Ersichtlich ist – wie schon erwähnt – dass es Besitzende und Besitzlose, Eigentümer*innen und Eigentumslose gibt, wobei die Grenzen fließend verlaufen und somit keine klare und rigorose Trennung möglich ist. So bleibt der historische Konflikt zwischen oben und unten weiterhin bestehen. Viele derjenigen die wenig haben, sehnen sich nach dem „Wohlstand“ manch anderer. Die Betonung liegt auf wenig anstatt nichts, denn in Deutschland, bzw. Berlin haben die Menschen eine weit größere kapitalistische Versorgung als anderswo. Wenig könnte daher noch die genaueste Ausdrucksweise sein. Eine Wirtschaft die auf Geld und Ausbeutung beruht muss den Menschen, die sich innerhalb den Grenzen dieses Fegefeuers bewegen, vorgeben was sie sich wünschen sollen und für was im Leben erstrebenswert ist. Öfters ist es spürbar, das die Bürger*innen sich diesen Vorgaben bewusst oder unbewusst anpassen und sich eine wahrlich zerbrechliche Glückseligkeit, Sicherheit und Freiheit, durch Eigentum und den Konsumwahn, schlicht erkaufen. Andere Male sind es ein paar Brösel, die vom großen Tisch des Kapitals fallen, weshalb sich die Menschen auf die Schnauze zu hauen. So was hat wahrlich nichts mit einem Klassenkampf zu tun, eher mit einem sozialen Kannibalismus. Hin und wieder passiert es jedoch, dass sich die Unterdrückten, die Ausgeschlossenen vom Wohlstand gegen die „Reichen“ erheben. Meistens, um von den Rechten und Gesetzen, die der Staat vorschreibt, aber nicht für alle gelten lässt, einen Nutzen zu ziehen. Klar ist, dass es keine unnütze Idee wäre, sich gegen die Verantwortlichen des sozialen Elends zu stellen, aber die grundlegende Frage ist: Für was? Für was gegen die Reichen rebellieren? Um den ersehnten Wohlstand zu garantieren oder an noch mehr heranzukommen? Oder ist es die Perspektive jegliche Herrschaft zum Umsturz zu bringen? Denn wenn das der Ausgangs
punkt wäre und es soweit kommen würde, dann könnte man getrost Worte wie Eigentum, Reich und Arm aus dem Wortschatz streichen.
Wo wir gerade von Eigentum reden…
Viele Kriege, Konflikte und auch Wohnungsnöte beruhen auf dem seit unserer Geburt eingebläuten Traum von Eigentum. Kaum etwas ist heiliger und anstrebenswerter in der Demokratie. Doch muss uns klar sein, dass der Kampf um die Ressourcen dieser Welt in erster Linie ein Eigentumskampf ist. Anders gesagt ist es eine gewaltsame Anspruchsnahme von Erdschätzen, die der Erde entrissen werden, mit mal mehr oder weniger Bedacht auf die Folgen. Dasselbe Prinzip lässt sich auf die Wohnungsnot übertragen und auf die Ressource „Wohnraum“ projizieren. Alle brauchen ein Dach überm Kopf und die daraus resultierende Spekulation der Eigentümer lässt die Menschen untereinander um auch die letzte bezahlbare Wohnung buhlen, ohne Rücksicht auf Verluste. Da brauch man bloß einmal an einer Wohnungsbesichtigung in Berlin teil zu nehmen.
So wird der akute Notstand was den Wohnraum betrifft von allen möglichen Politiker*innen benutzt, um sich innerhalb eines demokratischen, rechts-treuen Diskurses zu profilieren. Dabei hat z.b. die Rot-Rote Regierung vor Jahren etliche staatliche Wohnungen zu einem Spottpreis verscherbelt und verschenkt, um sie nun wieder zurückkaufen zu wollen. So gesehen kann man eigentlich kaum darauf Vertrauen, dass Parteien die gerade an der Macht sind die Interessen aller vertreten und durchsetzen. Das Vertretertum, das Politik genannt wird, und Wirtschaftsinteressen im Namen der Demokratie haben diese Wohnungsnot erst erzeugt, um nun von den selben Leuten zu verlangen alles wieder zurecht zu biegen. Wäre doch schlicht dumm, oder? Doch die ernüchternde Einsicht kommt meistens zu spät, nämlich dann wenn man merkt, dass jegliche Politik letztendlich doch das macht was sie will und sich nicht an die Zugeständnisse und Versprechen hält. Und so passiert das was zu erwarten ist: Besetzungen, kontinuierliche (Zwangs)Räumungen von Häusern und Wohnungen, welche dann meist gentrifiziert und ausverkauft werden.
Eigentum zu besitzen heißt automatisch es verteidigen zu müssen. Die außerordentliche Aneignung von Eigentum muss daher in der Logik der Macht unterbunden werden. Das Besetzen von Wohnraum ist nicht tolerierbar, da die Selbstbestimmung und Selbstermächtigung über grundlegende Bedürfnisse den Staat und seine Anhäufung von Regeln überflüssig macht. Wenn das Besetzen dann doch geduldet wird, dann um die sozialen Spannungen einzudämmen, nicht weil die Schlüsselfiguren im Staatsapparat das Enteignen etwa cool fänden und auf ihre eigenen Gesetze scheißen würden. In anderen Städten Europas wird die Wohnungsnot und die politische Hilfslosigkeit zum Teil mit einer Externalisierung der Konflikte geduldet, sogar gefördert. So in Rom, wo gewisse linke Strukturen eine institutionelle Funktion übernehmen, indem sie das Besetzen professionalisieren mit allen möglichen Dienstleistungen für und um das Thema Besetzen. So entstehen und existieren Hunderte Besetzungen und tausende Besetzer*innen, die durch ihre Verfrachtung zum Klappe halten gebracht werden… Denn zumindest nen Dach überm Kopf haben sie, wenn auch teils in prekären Situationen. (für mehr Infos siehe „Coordinamento lotta per la casa – Rom“).
Das Besetzen verliert so jegliche Romantik und wird zur illegalen Massenware, die der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung dient. Das Besetzen als Druckmittel auf die Politik zu benutzen ist ein langer Kampf durch die Institutionen, erst wird mit den Eigentümer*innen persönlich, dann über Anwält*innen und dann vor Gericht verhandelt. Gleichzeitig wird mit dem Senat gequatscht und dann mit Bullen, die, wenn keine Einsicht entsteht, bei der Räumung mit Prügel und Anzeigen drohen. Zwischendurch kann dann auch mal eine Canan Bayram vorbeikommen um nach dem Rechten zu gucken und um zu fragen was sie denn tun könne…
Die Gefahr für die aktuelle Besetzungswelle ist, sich von der Politik und den Medien einlullen zu lassen. Zu sehr verwöhnt es das eigene Ego mitzubekommen, wie „große“ Medien über den Notstand und den eigenen Kampf berichten und ihn sogar loben, oder zumindest nicht gänzlich runter spielen. Zu sehr ist man beeindruckt wie ranghohe Politiker*innen über das Thema Wohnungsnot und über die moralische Frage der Enteignung debattieren. Dies alles trägt dazu bei, dass geradezu eine euphorische Stimmung entsteht, weil das Besetzen anscheinend etwas bewegt und gefühlt die gesellschaftliche Akzeptanz steigt. Doch das Enteignen von Eigentum ist vielfältiger und tiefgreifender, denn wenn auf der einen Seite eine Notsituation eine Notlösung legitimiert, dann müsste auch das Enteignen von Nahrungsmitteln und sonstigen Gütern auf ein entschiedenes Verständnis stoßen. Weitergedacht könnte die Kritik an Eigentum auch ein Leben ohne Geld oder einer sonstigen Tauschware bedeuten. Unvorstellbar? Immerhin sind wir vom Eigentum umgeben und benutzen die meiste Zeit unseres Leben, um Eigentum und Grundgüter zu erwerben und zu besitzen. Seien es Klamotten, Autos, Wohnungen oder Essen. So ist es wieder die kapitalistische Staatsmoral, die mit Gewalt Eigentum verteidigt und vorgibt, was an der Akzeptanzgrenze von Gut und Schlecht liegt. Gesetzte können da auch mal flexibel gehandhabt und sogar zurecht gebogen werden.
Die Mittel, die der Staat hat, um soziale Spannung zu entspannen, sind nicht unbegrenzt,. Denn wäre dem so, dann wären wir in einer vermeidlich spürbaren Diktatur. Nicht, dass die herrschende Demokratie nicht spürbar sei, aber sicherlich kein Vergleich zu totalitären Staaten. Und so wird nur selten von „extremen“ Mitteln Gebrauch gemacht, siehe den SEK-Einsatz beim G20 in Hamburg und dann auch nur um zu zeigen, dass etwas gemacht wird um die Ordnung wieder herzustellen. Erst wenn der Staat spürt, dass er die Kontrolle verliert oder tatsächlich verlieren könnte, interveniert er. Mal mehr, mal weniger diplomatisch. So kommt es, dass für das Problem der Wohnungsnot diesmal ein diplomatischer Weg gewählt wurde. Natürlich werden Räumungen immer noch durch staatliche Prügeleinheiten durchgeführt, doch welches Gewaltmaß soll man sonst von ihnen erwarten? Durch einen neuen Gesetzesentwurf sollen die Mieter*innen für die nächsten 5 Jahre entlastet werden. Ohne näher auf Details dieser Konfliktlösung einzugehen, soll hiermit eine Analyse vollbracht werden, die versucht diesen Schachzug näher zu verstehen. Zu viele Menschen sind von dieser Wohnungssituation betroffen, als das die Politik die vielen unterschiedlichen Stimmen ignorieren könnte. Zu viele Menschen zeigen ihre Abneigung gegenüber der Gentrifizierung, der Modernisierungen und generell der Wohnungspolitik. Aber dieses zu viel heißt auch, dass viele Menschen hilfsbedürftig sind und darauf angewiesen sind, dass irgendwer in irgendeinem Büro in der Stadt sich für sie einsetzt. Doch ist die Politik keine NGO, die sich selbstlos für die Hilfsbedürftigen aufopfert. Sie hat Interessen, je nach Gesinnung, und die Wählerschaft ist ihre Währung mit der sie ihre Machtposition definiert und absichert. So ist klar, dass sich je nach dem wie der Wind dreht, sich die Aussagen, Zusagen und Versprechen ändern. Jegliche politische Taktiererei beinhaltet zwielichtige und zweideutige Absichten. So kann auch ein Mietendeckel als ein erneuter Versuch angesehen werden, aufgebrachte Gemüter zu besänftigen. Leider fallen nur allzu viele darauf rein. Wohl gemerkt ist in der Politik die Kunst des Lügens ein allseits bekanntes Mittel, um zum Erfolg zu kommen. Einige Gruppen, Initiativen, Vereine, Verbände etc. haben vor einigen Monaten nach einen radikalen Kurswechsel der Wohnungspolitik gefordert. Ist nun dieser Mietendeckel ein messbarer Erfolg von solchen Kämpfen und Forderungen? Wenn ja, würde es kaum Sinn machen weiter zu besetzen, weiter nach Deutsche Wohnen „Enteignen“ zu fordern, denn der Protest wurde ja von den Machthabenden erhört.
Aber dem ist nicht so, denn einige Strukturen rufen zu einer weiteren Welle der Besetzungen für Ende September auf. Widerständige Momente sollen weitergeführt werden. Das gesamte Gerüst dieses erfolgreichen Widerstands beruht darauf, dass zuletzt die Politik in den eigenen Reihen viel über die Legitimität des Besetzens und Enteignens und die Notwendigkeit einer Problemlösung debattiert hat. Dies auch nur, weil irgendeine Statistik behauptet, dass die Hälfte der Berliner Bevölkerung Besetzungen und Enteignungen für legitim hält. Doch was wäre, wenn weniger als die Hälfte oder nur ein Bruchteil davon überzeugt wären? Wäre es dann weniger legitim zu besetzten und zu enteignen? Und heißt „legitim“ nicht wortwörtlich gesetzlich anerkannt? Wie kann verlangt werden, dass ein Verstoß gegen das Eigentumsrecht anerkannt wird? Wie könnte eine Machtinstitution jemals die Prinzipien ihrer eigenen Macht verneinen? Denn das wäre der Fall, wenn auf einmal das Besetzten legitim wäre. Abseits dieser illusorischen Forderungen stellt sich die Frage, ob man den Diskurs von Recht und Unrecht, der einem autoritären Diskurs entspringt, überhaupt führen und dafür einstehen will. Das Enteignen kann grundsätzlich in Staatsaugen nur illegal sein. Für die Legalisierung zu kämpfen kann radikal erscheinen, stellt aber nicht die Autorität, die Macht, den Staat, in Frage, sondern nur ihren Ausdruck. Wenn das die richtige Richtung sein soll, dann ist das besetzen provokant gesagt nur ein Druckmittel, um von der Obrigkeit erhört zu werden und den Beifall der verständnisvollen Bevölkerung zu ernten.
Was wäre, wenn von Besetzungen eine konkrete Gefahr gegen die bestehende Ordnung ausgehen würde? Was wäre, wenn genau das die Intention hinter dem Akt der Besetzung wäre? Es wäre eine andere inhaltliche Qualität und Ausdruck einer Staatsfeindlichkeit, die darauf abzielt jegliche Autorität zu verneinen. Was wäre, wenn die Besetzungen Brutstätte von aufständischen Gedanken und Taten wären, mit dem Ziel die städtischen und die staatlichen Strukturen anzugreifen, um gleichzeitig ein selbstbestimmtes Leben zu führen? Was wäre, wenn das Besetzen als Teil eines subversiven Projekts verstanden werden würde? Und es geht hier nicht um die mehr oder wenigere Berechtigung gegenüber anderen Besetzungsvorhaben. Doch wäre es fatal seine eigenen Wünsche und Träume zu ignorieren, nur weil momentan weniger Verständnis in der Bevölkerung für solche Ideen besteht und nur deswegen verdaulichere Vorschläge gemacht werden. Das geduldige Warten darauf, dass die Menschen langsam und mit wohlbedachten Worten an die Revolution herangeführt werden, ist ein waghalsiger Marathon, wo im Schritttempo gehofft wird irgendwann ans Ziel zu kommen. Die Ungeduld endlich zu Handeln, endlich das Schicksal nicht mehr dem Schicksal zu überlassen, sondern selbst zu entscheiden, sollte uns inspirieren Wege und Mittel zu finden, um dem Drang nach der totalen Freiheit einen Ausdruck zu geben. Besetzen ist nur der Anfang, weil der Mensch einen Rückzugsort braucht, danach kommt der Angriff. Ausgangspunkt ist der Wille zu Revolte, der nicht erst durch das unverhoffte Versagen der Politik entsteht und sich nicht durch ihre darauffolgenden Versprechen und Zugeständnisse befrieden lässt.