Über Altbewährtes in neuer Frische
Seit einigen Jahren ist im europäischen Raum und darüber hinaus eine stetige Zunahme von Sabotage-Angriffen auf Relaisstationen, Kabelschächte und Mobilfunkantennen der großen Telekommunikationsunternehmen zu beobachten. Mit der beginnenden Errichtung der 5G-Infrastruktur in einigen Ländern und vor Allem während des Pandemie-bedingten Lockdown, fand diese Methode eine vorher noch nicht dagewesene Verbreitung. Alleine am Osterwochenende wurden in Großbritannien 20 Mobilfunkmasten abgefackelt. Insgesamt meldeten die Behörden bis Ende April über 60 solche Angriffe. In den Niederlanden und Frankreich lösten sich im selben Zeitraum über ein dutzend Antennen in Rauch auf, und auch aus Deutschland, Italien, Irland und anderen Ländern werden immer wieder ähnliche Fälle gemeldet. Tendenz steigend. Mit wenigen Ausnahmen wurden diese Angriffe stets anonym ausgeführt, ohne dass sich irgendwer dazu haben bekannt hätte. Da solche Sabotagehandlungen aber meist spürbare Effekte auf die Funk- und Datennetze nach sich ziehen, findet die Information darüber trotzdem ihren Weg an die Öffentlichkeit. Behörden, Massenmedien und Technologiekonzerne haben jedoch schnell ihr Narrativ gefunden, um diese Praktiken als Werk von Anhänger*innen kruder Verschwörungstheorien zu denunzieren. Als Beleg dafür dienen Beiträge aus Sozialen Medien, nach denen eine Verbindung zwischen 5G und dem Coronavirus bestehen würde, oder 5G gar der Auslöser dieser Pandemie und verantwortlich für alle möglichen Missstände dieser Welt sei. Die Existenz solch wirrer Ansichten ist sicherlich nicht zu leugnen. Jedoch ist auch naheliegend, dass die Herrschenden ein Interesse daran haben, von ernstzunehmender Kritik und realen Gefahren durch 5G, die bisher zumindest nicht auszuschließen sind, abzulenken. Denn so gut wie alle Bereiche, die durch technologische Erneuerung in naher Zukunft große Absatzmärkte versprechen, wie Industrie 4.0, Internet der Dinge (IoT), Smart Citys, autonomes Fahren etc. sind von dieser Technologie abhängig (siehe „No Limit“ Kanaille Nr.1 ). Da bleibt wenig Raum für Stimmen, welche diesen Entwicklungen feindlich gegenüber stehen.
So gibt es unweigerlich auch eine andere Lesart dieser Taten, die möglicherweise plausibler ist, oder sich zumindest wunderbar in die Geschichte der Methoden, welche sich die Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt seit Jahrhunderten zu eigen gemacht haben, einfügt. Wenn nicht sogar seit dem ersten Tag, wo Menschen über andere Menschen herrschten: Die Zerstörung dessen, was als Instrument der Unterdrückung identifiziert wird.
Das, was einst die Heimarbeiter*innen zum Beginn der „Industriellen Revolution“ dazu veranlasst hat, den mechanischen Webstuhl in Stücke zu schlagen, um die Fremdbestimmung zurück zu weisen. Das, was Fabrikarbeiter*innen im 20. Jahrhundert dazu veranlasste, das Fließband zu blockieren, um der tödlichen Routine der Massenabfertigung zu entkommen. Das ist möglicherweise auch das, was die Menschen heute, wo sich Ausbeutungsmechanismen erneut grundlegend verändern, veranlasst, die Datenströme zu unterbrechen, um sich der Kontrolle und dem Dauersenden zu entziehen. Es ist so gesehen die logische Fortsetzung einer Methode, welche mittels direkter Aktionen darauf abzielt, Entwicklungen die uns aufgezwungen werden, zu stören und zu zerstören. Aber auch eine Methode, um den Handlungsrahmen sozialer Kämpfe praktisch zu erweitern, indem die Daten- und Warenflüsse, welche die Wirtschaft am Leben halten, unterbrochen werden. Dass genau dann eine Häufung solcher Angriffe registriert wurde, als die Regierungen vieler Länder dabei waren, weitreichende Überwachungs-Apps zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu entwickeln und einzuführen, zeugt daher eher von einem Verständnis dessen, was die Grundpfeiler der heutigen Herrschafts- und Machtstrukturen darstellt. In Berlin wurde im April in der Nähe des Heinrich-Herz-Instituts, welches an den Entwicklungen einer solchen App beteiligt ist, in einem Bauschacht Feuer gelegt. Wie einem Schreiben dazu zu entnehmen ist, legte der Kabelbrand das Institut vorübergehend lahm.
Je nachdem, wo man sich befindet, hat die Bevölkerung mal mehr und mal weniger Verständnis für eine solche Praxis. Während z.B. in Frankreich viele Arbeitskämpfe oder Streiks nach wie vor von Sabotageakten begleitet werden und auch „Gelbwesten“ begeistert das Abfackeln von Funkmasten für sich entdeckten, tun sich die Menschen hierzulande bis hin zu einigen radikalen Milieus schwer, Verständnis dafür aufzubringen. Während die Einen darin nur plumpen Vandalismus erkennen können, fehlt es den Anderen an Zielgenauigkeit, weil die Unterbrechung meist Alle treffen kann. Dabei sind beide Fraktionen in ihren Argumenten gleichermaßen geschichtsvergessen. Sie ignorieren die Tatsache, dass viele Errungenschaften, die wir heute genießen, ein Resultat von Kämpfen sind, die auch militant und mittels Sabotage geführt wurden. Die Wirtschaft und ihre Versorgungswege zu unterbrechen ist seit jeher genauso ein elementarer Bestandteil von sozialen Revolten und Arbeitskämpfen, wie die Verteidiger*innen der Macht direkt zu konfrontieren. Meist bedeutet das auch, dass Menschen, entweder in ihrer Funktion als Arbeitskraft oder Konsument*innen davon betroffen sein können. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass sich die Bedingungen zu kämpfen dahingehend zu unseren Gunsten verändert hätten, dass die Herrschenden heute bereit wären, uns aus Vernunft Zugeständnisse zu machen. Der Klassenwiderspruch und der daraus resultierende Konflikt, der sich anhand gegensätzlicher Interessen der Besitzenden und jenen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, ergibt, hat sich keineswegs in Luft aufgelöst, auch wenn er manchmal nicht mehr so deutlich zu erkennen ist. Der soziale Angriff von Oben geht schonungslos weiter und die Feind*innen der Freiheit werden keinen Millimeter zur Seite weichen, solange ihre Macht nicht entschieden infrage gestellt und durch den Gegenangriff von unten zu zerbrechen droht. Nur wer vom Kapitalismus profitiert oder dem*der Ihre*seine Vorstellungskraft nicht über die Logik von Staat und Kapital hinausgeht, kann ein Interesse daran haben, dass wir der demokratischen Erzählung vom friedfertigen Protest, der bloß appelliert, auf den Leim gehen.
Rückblick
Die Sabotage leitet sich von dem französisch Wort „Sabot“, dem Holzschuh, ab. Wobei der Ausdruck ursprünglich eine „ungeschickte Arbeit“, als wäre sie mit Holzschuhen ausgeführt worden, bezeichnete. Erst im Laufe der Zeit wurde damit das absichtliche Verpfuschen und die Beschädigung und Zerstörung von Produktionsmitteln oder der Ware gemeint. Der Legende nach sollen die französischen Landarbeiter*innen, zur Zeit der beginnenden Mechanisierung der Landwirtschaft, die Feldmaschinen durch einen gezielten Wurf eines Holzschuhs zerstört haben. Während der Frühindustrialisierung war das Zerstören von Maschinen aber weit über Frankreichs Grenzen hinaus eine viel verbreitete Praxis ländlicher Hausgewerbetreibenden (Heimarbeiter*innen) und städtischer Handwerker*innen, die sich gegen die Mechanisierung der Produktion und das neu entstehende Fabriksystem richtete. Die als „Maschinenstürmer“ in die Geschichte eingegangenen Unruhen und Revolten waren stets von solchen Sabotagehandlungen und direkten Aktionen begleitet. In Deutschland waren es vor allem die Weber*innen, die während zwei Jahrhunderten für dutzende aufsehenerregende Aufstände dieser Art verantwortlich waren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hielt die Sabotage dann auch Einzug in das Repertoire einiger Gewerkschaften. Seitdem wurde Forderungen von Arbeitskämpfen auch immer mal wieder mittels Sabotage oder der Androhung dessen Nachdruck verliehen. Jenseits der historisch viel beachteten kollektiv geführten Arbeitskämpfe ist die Sabotage aber seit jeher auch eine Methode, die sich einzelne Individuen zu eigen gemacht haben, um in Eigeninitiative und selbstbestimmt die Herrschaft in all ihren Formen und Facetten anzugreifen. Beliebte Ziele solcher Aktionen waren und sind staatliche Institutionen wie Gerichte, Militärkasernen oder Polizeistationen, aber auch das Straßen- und Schienennetz. In Berlin lesen wir immer wieder von solchen Taten, die den symbolischen Charakter verlassen und gezielt in die Abläufe der kapitalistischen Routine eingreifen. So wurden in der jüngeren Vergangenheit, oft unter dem Synonym eines Vulkans und inspiriert durch den Ausbruch des „Eyjafjallajökull“ im Jahre 2010, der damals den europäischen Flugverkehr weitestgehend lahmlegte, dutzende Male Infrastruktur angegriffen, mit teils massiven Folgen. Diese Handlungen sind zwar in gewisse Diskurse eingebettet, doch folgen sie dem Gedanken, das Alle jederzeit die Möglichkeit haben zu handeln, ohne dabei auf irgendeine Organisation oder die Bereitschaft eines vermeintlichen revolutionären Subjekts zu warten. Nach dem Auseinanderbrechen der klassischen Arbeiter*innenschaft, dem Scheitern der institutionalisierten Linken und Gewerkschaften sowie der zunehmenden Vereinzelung durch den technologischen Angriff, dürfte dieser Praxis der selbstbestimmten, direkten Aktion, welche der anarchistischen Idee seit Anbeginn innewohnt, in naher Zukunft sicher auch wieder eine wachsende Bedeutung zukommen.
Störmeldungen
Bonn 2. Januar 2020 – in Bonn-Muffendorf brennen in mehreren Meter Höhe die Kabel eines Funkturmes. Insgesamt handelt es sich um das dritte Feuer seit Anfang November 2019 an diesem Funkmast.
Bonn 15. Januar 2020 – Sendemast am Kottenforst ist nach Brand zerstört. Die Polizei geht nach dem Feuer an einem Sendemast von Brandstiftung aus. Der Standort ist außer Betrieb und aufgrund der Schwere der Beschädigung ist eine Wiederinbetriebnahme derzeit noch ungewiss. Möglicherweise müssten die Gebäude sogar abgerissen werden.
München 19. Februar 2020 – Im Perlacher Forst, westlich der A995, haben Unbekannte versucht, einen Funkmasten anzuzünden. Zwei Trafokästen, die sich unmittelbar neben dem Funkmast unter einem Holzverschlag befinden, fingen dabei Feuer. Die Ermittler fanden vor Ort einen Brandsatz.
Padaborn 22. März 2020 – Eine Mobilfunksendeanlage hat am Sonntag in den frühen Morgenstunden gebrannt. Infolge des Brandes kam es zu einer starken Rauchentwicklung. Beim Eintreffen der ersten Feuerwehrkräfte brannte das Nebengebäude, in dem die Mobilfunktechnik verbaut ist, bereits vollständig.
Berlin 14. April 2020 – Brandstiftung in einem Bauschacht in der nähe des Heinrich-Herz-Institut. Durch den Kabelbrand war dieses vorübergehend lahmgelegt.
München 17.+20. April 2020 – Brandanschläge auf Internet-Infrastruktur sowie der Deutschen Bahn. In Allach und Johanneskirchen wurde in Kabelschächten entlang der Gleise Feuer gelegt. Während der eine Brand schnell gelöscht werden konnte, verursachte der andere einen so erheblichen Schaden, dass die Signalanlagen zwischen Allach und Karlsfeld ausfielen und die Strecke daraufhin über Stunden gesperrt werden musste.
Bonn 19. April 2020 – Sendemast auf dem Gelände des Sportparks Nord brannte. Die Polizei geht davon aus, dass das Feuer gelegt wurde.
München 22. Mai 2020 – Auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks in München – Freimann hat der Sendeturm gebrannt. Teile der Anlage, insbesondere der Kabelschacht, sind auf voller Länge verkohlt und außer Funktion. Die Stahlkonstruktion selbst steht.
München 8. Juli 2020 – Erneut brennt ein Sendemast in München. Es entstand ein Schaden in Höhe von rund einer Million Euro. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.