Eine kleine Geschichte der Knastrevolten im Frühling 2020

Um einer scheinbar einfachen Lösung sozialer Probleme Herr zu werden, bedient sich die Herrschaft der Mauern, des Einsperrens, Ausschließens und Entziehens. Wer nicht passt, wird weggesperrt. Knast aber tötet die Sinne, Gefühle, Gesundheit und manchmal auch das ganze Leben. Eine auf freiheitliches Aushandeln basierende Gesellschaft ist schwer, aber zu machen, und alleine für diese Möglichkeit müssen wir gegen die Knastordnungen revoltieren. Mauern einreißen und dem Versuch einer anderen Gesellschaft die Türen öffnen. Diese Revolten finden statt, wir können sie aufspüren, mittragen, mitgestalten und weitertragen. Kämpfe können auch gewonnen werden, wenn von vielen Seiten Solidarität übergreift. Widersprüche auf zu spüren und mit Widerstand dagegen zu halten ist nicht einfach, aber Wissen um Methoden und Formen kann vielleicht anregend sein, die eigenen Haltungen und Möglichkeiten zu stärken.


Im Zuge der Coronapandemie waren die Eingesperrten die Ersten, welche die Auswirkungen der Herrschaft am Härtesten zu spüren bekamen. Eingeschlossen in einem Gebäudekomplex, in den Wärter*innen von außen das Virus einschleppen und drinnen keine Möglichkeit mehr, dem auszuweichen. Verminderung täglicher Routinen, weil Personal ausbleibt und somit keine Hofgänge, Arbeit, “Freizeitbeschäftigungen”, die normalerweise etwas Ablenkung vom Knastalltag verschaffen. Eindämmung der dringenden, auch alltäglichen medizinischen Versorgung, weil auch draußen Alles dem Lockdown unterworfen ist.

Italien war eines der ersten Länder nach China, wo das Virus stark um sich griff und hier kam es zu einer Welle von Aufständen in verschiedenen Knästen, in verschiedenen Städten. Gefangene brachen aus ihren Zellen aus, stiegen aufs Dach, versuchten Mauern zu überwinden, machten ohrenbetäubenden Lärm an den Fenstergittern, legten Feuer. In Foggia gelang es den Leuten gar aus dem Gefängnis zu fliehen, wenn auch Viele von ihnen kurze Zeit später entdeckt und wieder weggesperrt wurden. Mehr und mehr Nachrichten von Knastrevolten waren weltweit zu vernehmen; aus Kolumbien, den USA, Chile und vielen Orten mehr, die leider oftmals brutal niedergeschlagen worden. In Mexiko gelang im März einigen Wenigen durch eine Knastrevolte, bei der Wächter als Geiseln genommen wurden, der Ausbruch. In Brasilien flohen im gleichen Zeitraum einige Tausende aus den Gefängnissen, als sie bemerkten, dass Corona als Vorwand diente, restriktivere Kontrollmaßnahmen einzuführen, aber keine Sicherheitsvorkehrungen gegen die Ausbreitung der Krankheit eingeleitet wurden.
Etwas später, Anfang April, begingen die Frauen des Gefängnisses Eleona, Thiva, Griechenland einen Aufstand. Nachdem eine Frau unbehandelt an Corona verstarb, gingen ihre Mitgefangenen auf die Barrikaden. Sie steckten ihre Matratzen und Kleider in Brand und zerstörten die Kühlanlage des Gefängnisses. Den eintreffenden Spezialeinheiten getrotzt, die eine Ausbreitung des Aufstandes auf die anderen Gebäudeflügel verhindern sollte, schloß sich dennoch das gesamte Gefängnis dieser Revolte an.

Einander ähnlich, die vielen Berichte und Erzählungen von Aufständen hinter den Mauern. Einmal eingesperrt, scheint es nicht mehr viele Möglichkeiten für Widerstand und Störungen zu geben, aber mit etwas Material ist schnell ein Feuer entfacht, Bettzeug und Tücher lassen sich beschriften und so konnten am 8. Juni bei einem Aufstand im Knast von Matraville, Australien, Medienhelikopter die großen Handtücher sehen, auf denen in riesigen Lettern BLM – black lives matter- geschrieben stand.
Zu allerletzt bleibt noch der eigene Körper als Waffe und so kommt es, dass es immer wieder Gefangene gibt, die sich für Hungerstreik entscheiden. Ich persönlich befürchte stets, dass mensch damit dem Staat in die Hände spielen könnte. Doch ein Interview mit einem kurdischen Kämpfer der 90er Jahren konnte mir das etwas verständlicher machen. Das Leben gehört demnach nicht einer Person alleine; alle betrachten sich als Teil des politischen Kampfes und damit können sie das individuelle Leben und den drohenden Tod als Waffe einsetzen. Das gilt es stets abzuwägen; es gibt viele Beispiele wo Hungerfasten zur Erfüllung von Forderungen auf bessere Knastbedingungen oder dem Vorantreiben von Prozessen gedient hat. Neben vielen Menschen, die auch in deutschen Knästen physisch sterben, kann ich nicht vergessen, dass die BRD Hungerstreiktote auch in Kauf nimmt, wenn es politisch passt, so wie einst Holger Meins.

Besonders in diesen Zeiten zeigt sich, wie sehr das Leben der Menschen in Knästen gering geschätzt wird. Angefangen damit, dass Wärter*innen im Gefängnis oftmals keine Schutzmasken trugen. In den USA werden Coronainfizierte hinter den Mauern nicht mal mehr in die offiziellen Statistiken eingerechnet, Berichte über fehlende hygienische Vorkehrungen, zu kleine und überbelegte Räume und die brutalen, die Psyche nochmal stärker angreifenden Isolationszellen werden zu Quarantänestationen umgewidmet. Im Mai konnte ein Insasse des Cook County Jail Chicago einen Wärter überwältigen. Mit einem Stück Seife in einer Socke bewaffnet, konnte er den Wärter in Schacht halten, den Schlüssel abziehen und im Hochsicherheitsbereich die Türen aufschließen, so dass wenigstens für einige Momente die Trennung zwischen Normalvollzug und Hochsicherheitstrakt aufgehoben war.
Die Geringschätzung der Gefangenen ist in den USA gar gesetzlich verankert, indem der Zusatzparagraph des Artikel 13 ermöglicht, Personen, die wegen eines Verbrechens verurteilt worden sind, zu versklaven und ihr Leben der Ausbeutung zu unterwerfen. Aber mit durchschnittlich 1,50 Stundenlohn in deutschen Knästen – nach Artikel 12 Abs. 3 Grundgesetz ist sogar wortwörtlich „Zwangsarbeit bei Freiheitsentziehung zulässig“ – oder den Zwangsarbeiter*innenlagern in Russland wird schnell deutlich, dass das keine nationalen Probleme sind. Hochöfen zu Feuerherden oder Arbeitslager zu Brandnarben; getreu dieser Mottos kam es in Russland zu einer massiven Gefängnisrevolte gegen ein solches Lager. In Irkutsk, im beginnenden Monat April, schnitten Gefangene Wunden in ihre Arme, um Selbstverletzungen vorzutäuschen, damit die Wärter*innen die Zellen betraten, wo sie überwältigt wurden. Darauf folgte eine Revolte, die das gesamte Gefängnis mitsamt des umliegenden Industriegebietes, wo die Gefangenen zur täglichen Arbeit gezwungen wurden, zerstörte und wegbrannte. Davon ist jetzt wohl nichts mehr übrig.

Warum war es in der BRD so ruhig? Perfide Befriedungsstrategien waren wieder das klassische Zuckerbrot zur ohnehin tägliche Peitsche. Es gab Telefonfreiminuten oder gar Videokonferenzen mit den Familien draußen. Leute mit geringen Strafen wurden entlassen oder Haftantritte auf später verschoben. Auch wurden die Menschen gebeten, doch bitte freiwillig auf ihre Besuche zu verzichten, um der Gesundheit aller Willen. Wer bitte möchte da seine Mitgefangenen gefährden? Das ist pseudo-Selbstbestimmung im Mantel sozialer Kontrolle, welche den Unmut der Gefangenen untereinander zum Ziel hat. Diese verschiedenen Formen der sozialen Spaltung der Häftlinge untereinander fand weiteren Ausdruck in der Absurdität von räumlicher Trennung der Gefängnistrakte, der zu Folge die Leute sich innerhalb der Mauern über einige Wochen nicht besuchen konnten, obwohl die Wärter*innen traktübergreifend rumliefen, sowie Hofgänge und Essensausgaben gemeinsam stattfanden. Hier wurde den Leuten unter dem Vorwand hygienischer und dabei inkonsequenter Maßnahmen wertvolle soziale Momente geklaut.

Spaltungen wahrnehmen und überwinden ist schwer zu machen, doch Solidarität ist eine Waffe. Auch wenn diese, seitens der Kontrollorgane, immer wieder versucht wird zu entkräftigen, zu unterbinden, ist es enorm wichtig, Zusammenhalt, Affinitäten und Bindungen aufrecht zu erhalten und immer wieder neu zu versuchen. So dass ein stetiger Kraftakt ist, können auch wir draußen mit leichten Mitteln Mauern überwinden. Infomieren wir die Leute im Gefängnis, was draußen passiert, knüpfen wir neue Bande mit jenen, die der Staat gerne ausschließen möchte. So wurden während der Pandemiemonate viele Briefe an Gefangene geschrieben und deren Antworten und Schilderungen im Netz veröffentlicht. Kleine Feuerwerke grüßten über die Stacheldrähte hinweg und mit lauten Boxen und einem Auto war schnell eine spontane Knastkundgebung möglich. Widerstand ist gemeinsam möglich und zusammen können wir Unwissen ablegen, die eigenen Ängste überschreiten und diesen vielfältig proben.

Irkutsk: Der Knast geht in Flammen auf

Eine Buchempfehlung: „Adios Prision“

Der Wille zur Freiheit übersteigt alle Mauern. Und so ist es zunächst ein kleiner Vogel, der innerhalb der Mauern Ohren und Sinne aufmacht und die Ausbruchsgeschichten der Gefangenen aufspürt. Wieder neu aufgelegt, gibt es das kleine Buch mit fünf Fluchtgeschichten endlich und erstmals auf deutsch. Aus einem Fenster abseilen, während der Fahrt einer Gefangenenverlegung, mittels Geiselnahme von Wärtern, … den Knastmauern entfliehen. Gesammelt wurden diese Erlebnisse, meistens von den Autoren selbst erlebt, im Spanien der 90er Jahre, wo sich die Protagonisten in einem Hochsicherheitsgefängnis kennenlernten. Alle Geschichten eint die Verabredung zum Gemeinsamen, die Versuche sich zusammen zu organisieren und auch die Unterstützung von außen und vor allem der unbedingte Wille zur Freiheit. “Damit wir es schaffen, wechseln wir uns in absoluter Komplizenschaft ab. Zuerst säge ich und dann er. Während der eine sägt, sieht der andere durchs Guckloch, damit er in Ruhe arbeiten kann. Wir schaffen es zwei von drei dieser Stangen zu lösen. Jetzt müssen wir nur hoffen, dass die Wärter nichts bemerken, wenn sie kommen, um die Stühle zurückzuholen. Da sind zwei längliche Platten, um die 35cm lang und drei cm breit. Diese Aufgabe kostet uns etwa eine Stunde. Es ist riskant, aber es bleibt uns keine andere Möglichkeit. …” Ob sie es schaffen, könnt ihr nachlesen, bei Juan José Garfia “Adios Prison. Die Geschichte einiger spektakulärer Ausbrüche”.