Wie Covid-19 zur weiteren Entfremdung genutzt wird
Schon seit ein paar Jahren reden Wissenschaftler*innen vom Beginn einer turbulenten Zeit. Von einer Epoche, die gerade begonnen hat und so dermaßen tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt, dass die sozialen Auswirkungen denen der industriellen „Revolution“ weit überlegen sein werden. Die Digitalisierung hat durch Covid-19, beziehungsweise die Reaktionen darauf, einen enormen Schub bekommen. Die Coronapandemie hat für einen intensiven Schock gesorgt, der wunderbar benutzt werden kann, um den „Krieg“ und damit alle möglichen Maßnahmen durchzusetzen, die sonst ein langsames Heranführen der Menschen benötigt hätte.
Entfremdung und Ausbeutung sind nichts besonders neues, sondern weiterhin Aspekte der momentanen Umstrukturierung des Kapitalismus. Der Einfluss „Künstlicher Intelligenzen“, die unbeschreibliche Macht einiger Großkonzerne, sowie die Entfremdung der Folgen unseres Handelns sind nur einige wenige Teile dieser tiefgreifenden Veränderungen.
Diese sind selbstverständlich schleichend aber aufdringlich offensichtlich, sie sind zutiefst entmündigend aber immer enorm praktisch.
Sozialfreier Konsum
Onlineshopping hat seit Corona enorm zugenommen und damit einen allgemeinen Trend verstärkt. Man muss nicht mehr vor die Tür gehen und anderen Menschen begegnen, die sowieso bestehende Vereinzelung wird also weiter vorangetrieben. Außerdem profitieren oft globale Monopole wie Google oder Amazon, deren Macht so weiter gestärkt wird. Der Einzelhandel um die Ecke weicht also immer mehr globalen Riesenkonzernen, die den Markt diktieren und bisher unvorstellbare Finanz- und Machtstellungen aufbauen. Die beim Onlinehandel erhobenen personifizierten Daten bauen weiter am gläsernen Menschen und erlauben es den Anbietern umfangreich zu kategorisieren, zu kontrollieren und nicht selten auch zu manipulieren, beispielsweise in Form personalisierter Werbung.
Dabei wird immer öfter digital per Karte oder Smartphone bezahlt. Vor allem seit der Corona-Pandemie versuchen angeblich mittlerweile ein Drittel der Menschen auf Bargeld zu verzichten. Man hörte in vielen Geschäften durchsagen, die zum digitalen Zahlen aufforderten, angeblich aus hygienischen Gründen. Doch Konzerne, Banken und Staaten profitieren davon enorm. Außerdem gibt es Pläne der EU das Bargeld komplett abzuschaffen. Du bezahlst zusätzliche Gebühren, nämlich mit der wertvollsten Währung dieser Tage: Informationen. Zahlverhalten, Positionsprofile und Konsumverhalten ermöglichen wiederum ein immer genaueres digitales Abbild deiner selbst. Dieses ist jedoch wesentlich leichter kontrollierbar als ein wandelndes Wesen und somit leichter ausbeutbar.
Effizienz- und Profitmaximierung treiben auch die Automatisierung voran. Sogenanntes Self-Scanning beispielsweise, also Kassen ohne Kassierer*innen, funktioniert meist nur bargeldlos, fördert die digitale Selbstzurichtung und nimmt die Möglichkeit anonym einzukaufen.
Digitale Krankheit
Demnächst kann man sich per Videochat von der Ärzt*in krankschreiben lassen. Die Akzeptanz für digitale Arztbesuche ist seit Corona angeblich enorm gestiegen. Es wird nicht überlegt, wie Pandemien im sozialen Zusammenleben gehandhabt werden könnten, sondern wie Soziales schlichtweg verhindert werden kann. In einer Welt, in der die Umwelt und Krankheiten als etwas abscheulich Fremdartiges wahrgenommen werden, kein Wunder. Statt dem eigenen Erlernen von Heilmethoden und einem möglichst sanftem Umgang mit Krankheiten, unter Umständen auch dem Ausleben von Krankheiten, stehen Konzepte des Weg-Machens und Verwaltens gegenüber. Denn man muss funktionieren und was erlahmt wird nicht als Aufbau der Immunabwehr oder Zeit zur Erholung gesehen, sondern als Nicht-Leistung. Die Digitalisierung ist die logische Weiterentwicklung, wenn Effizienz und Kostenersparnis an oberster Stelle stehen. Die Funktion im System ist entscheidend, nicht der Mensch. Die im Aufbau befindliche digitale Krankenakte dürfte nun ebenfalls mit dem Totschlagargument Corona vermehrt Zuspruch finden. Die Möglichkeit, überall Daten aufzuzeichnen, werden Konzerne und Staaten mit Sicherheit irgendwann ausnutzen, soweit müssten alle aus der Geschichte gelernt haben. Machtinstrumente werden, sofern sie einmal vorhanden sind, auch verwendet.
Allgegenwärtige Arbeit
Etwa ein Drittel der Unternehmen in Deutschland haben 2020 Computerprogramme zur Zusammenarbeit im Betrieb eingeführt. Viele Betriebe wollen mehr auf digitale Kommunikation setzen und das Prinzip Homeoffice hatte mit Corona seinen Durchbruch. Die Regierung verabschiedet gleichzeitig Gesetze zum Recht auf Homeoffice. Mehr Flexibilität und weniger Kosten für die Arbeitgeber*innen, die sowieso schon von der Arbeitskraft Anderer profitieren. Wer Strom, Wasser und Kaffee nun Zuhause verbraucht, schenkt dem Arbeitgeber diesen Bonus. Struktureller Zwang erzwingt das Arbeiten Zuhause, da sonst eine Kündigung drohen könnte. Die Lohnarbeit dehnt sich in alle Zeiten des Tages, in alle Geräte, in alle Lebenssituationen aus. Gleichzeitig verschlimmert sich die Isolation, Einsamkeit und Angst vor sozialer Nähe nehmen zu. Die Fähigkeit Konflikte auszutragen, verkümmert durch die Verlagerung ins Digitale und minimiert eine Fähigkeit, die grundlegend für selbstbestimmtes wie auch kollektives Handeln ist. Digitale Überwachung durch Arbeitgeber*innen und die Produktion von Daten, die freiwillig an die Anbieter von beispielsweise Videosoftware wie „Zoom“ geschenkt werden, lassen diejenigen profitieren, die die technologischen Mittel verwalten.
Abstand ist die neue Nähe
Vieles davon betrifft auch die Beziehung zu den Geräten, denen intimste Geheimnisse anvertraut werden. Wo man hingeht, mit wem man wann, wo, wie zu tun hat, was die geheimsten Vorlieben sind u.s.w. wird immer mehr an Geräte und damit an Firmen und Überwachungsorgane gesendet. Besonders hier trifft der Spruch der Politik „Abstand ist die neue Nähe“ ausnahmsweise mal zu. Was zu Coronazeiten zum Leitspruch wurde, ist traurige Realität und spielt den Datensammler*innen in die Hände, also in die Server. Wenn man sich anschaut, was erhöhtes digitales Leben beispielsweise bei Kindern macht, wird schnell klar, dass digitales Leben keine soziale Nähe ist, sondern Abhängigkeit, Vereinsamung und Depression verursacht (siehe Kanaille 3-5 „Manipulation der Sinne“). Soziale Interaktion und Aufmerksamkeit ist durch nichts zu ersetzen. Die Verlagerung des Sozialen in digitale Welten ist soziale Verkümmerung und Nähe zur Ausbeutung der Konzerne.
Außerdem gibt es Menschen, die beispielsweise kein Bankkonto haben können oder wollen. Der Ausschluss wird mit voranschreitender Vereinnahmung aller Lebensbereiche immer totalitärer, die Folgen für die Ausgeschlossenen immer essentieller.
Wer immer noch glaubt, praktisch sei gleichbedeutend mit gut, sollte sich einmal vor Augen führen, wie tiefgreifend sich unser Leben nun schon verändert hat und welch extreme Abhängigkeiten geschaffen wurden. Abhängigkeiten jedoch machen gefügig und Gefügigkeit ist das Gegenteil von Freiheit. Die momentane Zeit könnte jedoch auch genutzt werden, diese Entwicklungen zurückzuweisen und endlich die gesamte Idee der Effizienz, der Ausbeutung und des Organisiert-Werdens praktisch zu hinterfragen.