Eine gelbe Weste gegen die Tristesse der sozialen Bewegungen

Einige Gedanken zu einer Revolte, die mit dem Herkömmlichen bricht. Geschrieben zu einem Zeitpunkt, als die Mobilisierungen landesweit noch großes Potential hatten.

Die gelbe Weste. Ein Kleidungsstück in greller Farbe, das einst mit der öden Warterei am Straßenrand auf den Pannendienst assoziiert wurde, erfreut sich in Frankreich seit mittlerweile über sechs Monaten großer Beliebtheit. Nicht weil die Menschen plötzlich mehr Bewusstsein für die Verkehrssicherheit erlangt hätten, sondern weil die soziale Sicherheit schon lange am bröckeln ist und für viele noch nie existiert hat.

Wie aus dem nichts ist nach der Ankündigung Macrons im November letzten Jahres, eine Ökosteuer auf den Spritpreis zu erheben, die Wut sichtbar geworden. Eine Wut, ganz allgemein auf die herrschenden Verhältnisse in denen der ökonomische Druck immer größer wird, aber auch auf die Regierung Macrons im speziellen, welche ohne Rücksicht auf Verluste ihr neoliberales Projekt zu Ende bringen will. Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Erst in den Provinzen an den besetzten Kreisverkehren und Straßenblockaden, dann in den Innenstädten der Metropolen. Samstag für Samstag werden diese nun von meist wilden Demos und teils heftigen Ausschreitungen heimgesucht und die Bilder der zerstörten und geplünderte Edelboutiquen auf der Champs-Elysees haben sich genauso in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt wie die Gewaltorgien der CRS (Bereitschaftspolizei). Die geplante Benzinsteuer wurde in der Zwischenzeit wieder auf Eis gelegt, doch die Angst hat die Seite gewechselt und die Gilets-Jaunes sind, wenn auch mit schwankender Intensität, immer noch da.
Politische Lager jeglicher Couleur versuchen dabei verzweifelt dieses Phänomen zu verstehen. Doch die herkömmlichen Kategorisierungen greifen hier nicht. Es ist keine homogene Bewegung, die sich in einfache Muster pressen lässt, sondern eine Revolte, die die Diversität bereits in ihrer DNA trägt. Eine Vielfältigkeit, die im krassen Widerspruch zu einer linken Moral steht, welche die Idee eines politisch korrekten Aufstandes predigt. Ohne Zweifel –  die Eigenart dieser Bewegung, dass von einigen auch gerne mal die Marseillaise angestimmt oder dieTrikolore geschwenkt wird, ist irritierend. Genauso die sexistischen Parolen, die teils weite Verbreitung finden. Anderseits gab und gibt es auch eine antifaschistischen Präsenz und handfeste Interventionen, wodurch reaktionäre Tendenzen in weiten Teilen zurückgedrängt werden konnten. Versuche einer objektiven Beschreibung sind aber zum scheitern verurteilt, denn die Situationen sind je nach Ort und Zeitpunkt sehr unterschiedlich. Unterm Strich ist es aber auch uninteressant, sich aus der Ferne an den Deutungsversuchen und Interpretationen der bürgerlichen Presse und linker Öffentlichkeit zu beteiligen. Viel spannender ist, dass sich die Bewegung nicht den politischen Stilmitteln der Herrschaft bedient und in ihrer Art und Weise viele Merkmale einer antiautoritären Herangehensweise in sich trägt. Es gibt weder politische Repräsentation noch klare Forderungen, geschweige denn eine Struktur die diese absegnen könnte. Verabredungen finden durch soziale Medien statt, oder auf selbstorganisierten, meist lokalen Versammlungen, die sich niemandem gegenüber rechtfertigen müssen. Einzelne Versuche die Bewegung in politische Bahnen zu lenken und mit der Macht in Dialog zu treten, wurden bisher erfolgreich verhindert. Das macht die Bewegung wenig angreifbar, da sie nicht mit kleinen Zugeständnissen seitens der Regierung abgespeist werden kann. Dies scheint so simpel wie elementar zu sein. Wer die Dynamiken von sozialen Bewegungen kennt, weiß aber über die Vehemenz die es bedarf, Alleingänge von Selbstdarsteller*innen und Möchtegern-Politiker*innen langfristig zu verhindern. Dass dies trotzdem gelingt dürfte ein Resultat aus den wiederkehrenden Erfahrungen der gewerkschaftsgeführten Protesten gegen die Arbeitsgesetze sein. Auch diese wurden jeweils von großen Mobilisierungen und Krawallen begleitet, fanden durch die Verabschiedung der Gesetze und die ausbleibenden Aufrufe durch die Gewerkschaftsführung aber jeweils ein jähes Ende. Auch die erfrischende Wende, welche die „cortège de tête“ als wilde Demospitze seit 2016 brachte, konnte keine Antwort auf dieses Dilemma und den vorgegebenen Fahrplan durch die Politik finden. Obwohl sich die Zusammensetzung der Menschen bei den Gilets-Jaunes wahrscheinlich in weiten Teilen von denen der Gewerkschaftsdemos unterscheiden, ist zu erkennen, dass ein Bewusstsein darüber, welche Gefahr von einer Vermittlung der eigenen Bedürfnisse durch andere ausgeht, weit verbreitet ist. Aber auch die Praxis der Versammlungen und direkten Kommunikation bei den Besetzungen und die damit einhergehende Erfahrung, dass der Kampf immer auch ein sozialer Moment ist, dürfte dabei eine Rolle spielen. So bildet die Selbstorganisierung den Nährboden für eine Vielzahl von direkten Aktionen, wie die massenhaften Blockaden und Angriffe auf die Symbole von Staat und Kapital sowie die Sabotage an Mautstationen, Blitzer, Bahngleisen oder Funkmasten. Anhand dieser Taten lässt sich auch ablesen, dass die Menschen ein sehr genaues Verständnis darüber haben, welche Relevanz der Waren- und Datenfluss für das Funktionieren des Kapitalismus hat, und treffen so die empfindlichsten Stellen des Systems.

Der Staat weiß über die Wirkung dieser Entwicklung. Die verzweifelten Versuche, durch die Inszenierung einer von oben diktierten landesweiten Debatte, die Auseinandersetzungen auf das politische Feld der Verhandlung zurück zu führen und so die Bewegung zu spalten und die Gemüter zu beruhigen, fand aber keine Resonanz. Vielmehr hat es die Menschen bestärkt in ihrem Wissen über die Arroganz der Macht. Die Regierung setzt deshalb vor allem auf Repression, Verbote, Einschüchterung und Gewalt. Die Gilets-Jaunes haben bereits viele Inhaftierte und Schwerverletzte zu beklagen. Aber auch der Hass auf die Bullen steigt mit jeder verschossenen Tränengaskartusche. Die demokratische Fassade hat längst Risse bekommen, und darunter zeigt sich deutlich die faschistische Fratze eines Staates, der sich in die Enge getrieben fühlt. So ist der Slogan „Tout le monde déteste la police“ nicht mehr nur eine hole Parole von einigen Jugendlichen, sondern für viele eine ernst gemeinte Kampfansage an die Schläger*innen in Uniform und die Welt die sie verteidigen.