Katerstimmung

Eine weiterführende Einschätzung zu den Entwicklungen in Frankreich diesen Sommer.

Leugnen, dass sich eine Katerstimmung breit gemacht hat, würde an dieser Stelle natürlich nur von einer augenfälligen Unaufrichtigkeit zeugen. Somit wollen wir das lieber unterlassen und uns stattdessen darum bemühen, diesen Kater aus zu kurieren.
Die Gelbwesten haben sich aus den Straßen Frankreichs weitestgehend zurückgezogen. Auch wenn hin und da immer wieder kleine Erscheinungen an den Tag treten, hat das offensichtlich nichts mehr mit der Kraft und der Intensität wie vor sieben/acht Monaten zu tun. Die Regierung und mit ihr die Politik, die diese nun seit zwei Jahren vorantreibt, stehen noch. In diesem Sinne kann man ohne wenn und aber, offen und ehrlich von einer Niederlage sprechen. Natürlich bringt erlebter Widerstand immer auch Veränderung mit sich, im intimen und im kollektiven Bewusstsein derer, die diesen Widerstand getragen haben. Eine solche Tatsache sollten wir bestimmt nie leugnen, aber wenn der Gegner an seinem Platz bleibt und man selber sich zurückzieht, hat er gewonnen. Und leider ist es dann immer der Sieger, der die Geschichte schreibt und der seine Vision einer Gesellschaft in den Köpfen und den Körpern dieser verankert.
In Frankreich zeichnet sich diese Zukunft anhand von konkreten Ereignissen ab. Wie zum Beispiel am 21. Juni dieses Jahres in Nantes, als die Polizei eine Technoparty auf einem Brachgelände an einem Fluss mit Tränengas, Gummigeschossen, Schockgranaten und Knüppeln stürmte. Dabei Leute niederschlägt, 14 Partygänger*innen in den Fluss fallen und nur 13 davon wieder auftauchen. Der 14. wird erst sechs Wochen später tot aufgefunden und die Bevölkerung dieses Landes erhebt sich nicht. Sie lässt zu, dass ein solches Ereignis sich ganz gemütlich in den Lauf der Geschichte eingliedern kann und so nur ein weiteres Ereignis staatlicher Gewalt unter vielen wird. Zu diesem Mord muss gesagt werden, dass der 21. Juni in Frankreich “la fête de la musique” genannt wird, was der Kulturminister Jack Lang in den 80er Jahren eingeführt hat. Ein Tag, an dem die Bevölkerung dazu aufgerufen ist, überall Musik und Kultur auf die Straßen zu tragen. So werden an allen Ecken Frankreichs Musik gespielt und Feste gefeiert. In diesem Sinn ist es der Staat selbst, der die Leute dazu aufruft, an jedem 21. Juni auf die Straße zu gehen und eine “kulturelle Insurrektion” zu feiern. Um 4 Uhr sollte dann aber Schluss sein. In Nantes auf diesem Brachgelände, weit weg von jeglichen Wohngegenden, hat die Musik etwas länger gedauert. Deshalb musste Steve in dieser Nacht ertrinken. Der Befehlshaber dieser Polizei-Intervention wurde übrigens am 16. Juni, mit hunderten anderer Polizisten, zum Dank für ihren bravourösen Beitrag zur Bewältigung der Gelbwesten-Krise gekürt. Gegen Viele dieser Bullen wurde ein Verfahren wegen Polizeigewalt bei den Gelbwesten-Demos eröffnet. Kein einziges dieser Verfahren hat bis heute zu einem Prozess geführt.
Wenn die Leute, die auf die Straße gingen, im Verlauf der Zeit immer weniger wurden, hat das auch zum großen Teil mit der Tatsache zu tun, dass viele Angst bekommen haben. Die Effektivität von Gewalt basiert auf Traumatisierung. Einen verstümmeln, um hunderten Angst zu machen. Sich über eine so lange Zeit dieser Gewalt aus zu setzen und von ihr umgeben zu sein, auch wenn die Gewalt nicht nur einseitig ist, durchdringt Körper und Seele. Selbst für die geübtesten Leute, ist dies eine sehr zermürbende Geschichte auf Dauer. Vor allem dann, wenn die Staatsgewalt sukzessive zunimmt. Irgendwo tief in einem drin, setzt sich Angst fest. Und das ist die Angst, die Gewinner zu Gewinnern macht. Wenn diese Angst sich verankert, sich durch die Gesellschaft zieht, sich überall festbeißt und normal wird. Heute ist es schwer, sich von dem Gefühl los zu reißen, dass wir an einer Schwelle stehen, wo wir entweder einen Weg finden, uns dieser Geschichte zu widersetzen und uns erneut aufbäumen. Oder wir lassen es zu, dass die Angst tief in uns drin Platz nimmt, genau dort, wo sie uns am besten kontrolliert und beherrscht.
Zitronensaft in dem Kaffee soll ein Wundermittel gegen Kater sein und Rollmops essen soll anscheinend auch gut helfen, aber doch heisst es oft, dass der beste Weg einen Kater zu kurieren, der ist, wieder mit dem Trinken anzufangen. Was sicher ist, ist, dass niemand gerne lange Zeit Kopfschmerzen mit sich rumträgt…

Für Steve