Viel Gezwitscher um nichts

Die Überbewertung und geringe widerständige Nachhaltigkeit von Protesten und Auseinandersetzungen durch Twitter

Eine Erkenntnis die uns alle anscheinend beruhigt ist, dass wenn getwittert wird, wird informiert. Eine Superreichweite, die eine Nachricht von der Besetzung (Aktion, Spontandemo, Unterschriftenliste) erreicht. Puh geschafft – alle wissen es! Aber was wissen sie denn? Sie könnten zur einer Besetzung kommen, jedoch oft ohne Absprache mit Anderen, Freund*innen, Gefährt*innen, geschweige denn mit den Leuten im besetzten Haus. Wenn sie Twitter dabei haben, ist auch ihr Überwachungsmittel das Smartphone mit Kamera, Mikrophon und GPS dabei. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: ich bleibe zu Hause, weil ich bin nicht vorbereitet, oder ich gehe zur Besetzung und wenn ich nicht total sponti bin, bleibe ich letztendlich ein*e vernünftige Zuschauer*in.
Für mich fühlt sich diese Situation so an, als würde man als Schaf zu seinem Schlächter gerufen. In der Masse, ohne Selbstorganisation und Widerstandsbewusstsein. Mit Twitter in der Hand stehst du in der digitalen Öffentlichkeit und du bist nicht wirklich analog handlungsfähig. Da die Bullen mitlesen, manifestiert sich so der Bulle in deinem Kopf, du verhältst dich so, wie es online von dir verlangt wird. Nicht auffällig: gesetzestreu, unverdächtig und funktionierend für die Digitalität. Subversiv organisieren oder aufrufen, Mülltonnen abfackeln und Barrikaden bauen, den Bullenfunk abhören, die Besetzung in der eigenen Bezugsgruppe halten… läuft in diesem Moment nicht über Twitter auf deinem Smartphone. Eine Twitternachricht ist also nicht mehr als eine Nachricht, die uns der Sprache, Kontext und Komplexität und Organisierungsfähigkeit, also der Fähigkeit beraubt, kritisch zu denken. Eine inhaltsleere Kurznachricht, die keinen Kontext, warum wir besetzen, keine Komplexität über Eigentum und Kapitalismus, die keine spontane oder geplante subversiven Organisierung beinhaltet. Unser kritisches Denken verkümmert auf den sozialen Plattformen, es gibt keine echten Reflektionen und Streitgespräche – alles ist vollgestopft mit vorgefertigten Meinungen und Shitstorms.
Was dabei fehlt, ist eine kontinuierliche analoge Selbstorganisierung, warum mache ich was und wie, um meinen Vorstellungen von einem besseren Leben Verhör zu verschaffen. Wenn bspw. Banner nur für Twitter gemalt werden, verliere ich die Konfrontation auf der Straße. Wenn ich zu einer Besetzung gerufen werde mit meinem Smartphone, dann bin ich alleine, und gehe im worst case nicht hin, weil ich das Gefühl habe schon dabei zu sein. Wenn die Leute unvorbereitet zu einer Aktion/Besetzung mit ihren Smartphones und Twitteracount, ohne ein vorhergehendes gemeinschaftliches Organisieren mit Menschen, kommen und dann plötzlich mit Bullengewalt und Repression in Verbindung geraten, gibt es niemanden, mit denen sie den Folgen von möglicher Repression gemeinschaftlich begegnen können. Beim Twittern fehlt es an einer kollektiven Fähigkeit und Erfahrung, sich zu organisieren, Entscheidungen zu treffen, kontinuierliche Zusammenarbeit und Dynamiken zu entwickeln oder auszuprobieren, sowie Vertrauen und Infrastruktur gemeinsam aufzubauen.

Twitter macht dich allein – und allein machen sie dich ein!

Das Internet und seine sozialen Plattformen bergen viele und vielfältige Annehmlichkeiten. Wir Menschen wählen oft die einfacheren Wege in vielerlei Hinsicht und wir sind auch gemeinschaftliche Wesen, die gerne das machen, was andere tun. Und doch haben wir diese Onlinepraktiken nicht freiwillig ausgesucht, sondern hilflos übernommen und können unsere Aufmerksamkeit, oder wie es heute so schön heißt unsere Kapazitäten, nicht mehr so einteilen wie wir wollen. Ich stimme hier nicht für absolute Klandestinität oder mittelalterliche Verhältnisse, aber für ein Bewusstsein über den Fakt, dass genauso wie die politische Ökonomie (Ford und Taylor) einen homo oeconomicos geschaffen hat, die Kybernetik (Wissenschaft des Regierens- das Zusammenwirken aller Teile durch Selbstkontrolle) eine eigene Menschheit erschafft – durchsichtig, entleert, von Strömen elektrifiziert durch verlängerte Maschinenteile wie Smartphones. Computersysteme und soziale Plattformen sind nicht emanzipatorisch und sozial, sie sind Technologien zur Überwachung und Kontrolle. Um zu kontrollieren, was und wie Menschen etwas tun. Da wir immer mehr Zeit online verbringen und diese Datenbanken mit Details über unser Leben und unsere Wünsche füllen, werden Softwaresysteme immer fähiger, subtile Muster in unserem Verhalten zu entdecken und zu nutzen.
Deshalb sollte der Frage der technologischen Effektivität, der Annehmlichkeit und der Vereinnahmung unserer Kapazität/Aufmerksamkeit, kritischen Denkens und der Organisierungsfähigkeit immer ethischen und sozialen Erwägungen untergeordnet sein. An welchen Punkten, in welchen Momenten, ist es noch möglich und nötig umzudrehen? Auf diese Suche können wir uns begeben, jetzt und in jedem Moment, nicht daueronline sondern daueraufmerksam auf der Suche nach etwas Eigentümlichen im Menschen. Vielleicht das kritische Denken und Handeln, das sich gegen jede Macht wehrt. Keine Technik sollte ohne eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer sozialen und gesellschaftlichen Komplexität einfach übernommen werden.
Analoge und direkte Kommunikation, direkte Selbstorganisierung und direkte Aktionen sind die Mittel, die wir gegen die Beherrschung unseres Widerstandes durchdie Technologie setzen können.