Die kapitalistische Stadt hat in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckend erfolgreiche Transformation durchgemacht. Orte, die einst vorwiegend dem Zweck des Wohnens dienten, von denen ein Heer von Arbeiter*innen tagtäglich in die Werkstätten und Fabriken ausströmten, um Waren und Güter zu produzieren, entwickelten sich zum eigentlichen Produkt, welches den Wert erschafft. Die moderne Metropole ist mit knackigen Slogans versehen, um auf dem globalen Markt gegen andere Städte zu konkurrieren. Namen wie Kreuzberg sind dabei Aushängeschild und Label zugleich, um aus dem Eigentum an Grund und Boden oder Wohn- und Geschäftsräumen Profit zu pressen. Die etablierte bürgerliche Kultur und ihre Konsumwelt spielen hierbei jedoch nur noch eine nebensächliche Rolle. Das Potenzial bilden Orte, welche bislang noch nicht gewinnbringend der Verwertung zugeführt werden konnten. Das „echte“ Berlin. Unentdeckte Nischen, wo sich die coolsten Leute rumtreiben und authentische Geschichten geschrieben werden. Das ist, was zählt. So underground, dass alle es gesehen haben müssen. Sharing-Plattformen wie AirBnB oder Touristen-Apps, welche die Geheimtipps auf die Smartphones spielen, sind dabei treibende Kraft und schaffen ein Angebot dort, wo sich bisher kaum wer hin verirrt hat. Dies eröffnet Möglichkeiten, aus unscheinbaren Nachbarschaften neue Absatzmärkte zu entwickeln. Google, Amazon und andere aus der Tech-Branche (siehe Text Berührungspunkte) haben das längst verstanden und buhlen um die besten Plätze in den angesagten Szenevierteln, um ihr Stück vom Kuchen zu kriegen. Dort, wo sie die kreativsten Köpfe vermuten, werden die Fühler ausgestreckt, um ihre Ideen in Geld umzusetzen. Der zynische Slogan “arm aber sexy“, welcher einst weit über Berlin hinaus Bekanntheit erlangte, zeigt, dass sich hierbei selbst mit dem Image der Armut Profit machen lässt. Und so meinte die darauf inszenierte Werbekampagne “be Berlin“ welche vom Lobbyverband “Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH“ entwickelt wurde, vor allem die Jungen, Hippen, Gut-Vernetzten und Kreativen, welche dieser romantisierenden Darstellung von Armut folgten, die sie selbst meist nicht aus eigener Erfahrung kennen. In den angesagten Bars wird das neue Start-Up gefeiert und in den Galerien der Ausverkauf von Graffiti mit Craftbier begossen. Dass, was in den alternativen Nischen einst voller Leidenschaft fürs Anders-sein und mit edlen Motiven gestartet wurde, hat viel zu oft den Weg in die Wertschöpfungskette gefunden und jeglichen rebellischen Geist verloren. Die Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit sind zum Nährboden für den Lifestyle mutiert, der sich heute rücksichtslos und auf dem Rücken der armen Bevölkerungsschichten seine Räume erobert. Das Kapital hält dabei nicht nur Einzug in unsere Nachbarschaften, sondern weiß auch die Tätigkeiten und sozialen Beziehungen zu ökonomisieren. Wer dem im Wege steht, muss damit rechnen, mit Gewalt beseitigt zu werden.
In Berlin finden jährlich bis zu 5000 Zwangsräumungen statt. Meist trifft es jene, die eh schon gesellschaftlich marginalisiert sind. Sie werden sang- und klanglos auf die Straße gesetzt oder an die Ränder der Stadt verdrängt. Ihrem sozialen Umfeld beraubt und sich selbst überlassen, werden sie ständig daran erinnert, nicht genügend kreatives Humankapital zu besitzen, um in der neuen Welt bestehen und teilhaben zu können. Zunehmend trifft es aber auch alternative Clubs, Kneipen, Räume und Projekte. Orte, an denen die Subkultur ihr Dasein fristet, von wo aus einst eine Strahlkraft ausging, die Berlin maßgeblich zu dem gemacht hat, was es heute ist. Nun aber haben sie ausgedient. Sie sind nicht länger von Relevanz, um die Brücke zwischen DIY- und Kommerzkultur zu schlagen, sondern ein Hindernis für Investitionen und Wertsteigerung. Längst haben sich Gutverdienende in den Nachbarschaften breit gemacht, welche kein Interesse am Fortbestehen ihrer Existenz mehr haben. So stehen die Häuser mit ihren bunten Fassaden wie Relikte da, die oft nur noch als Fotomotiv für die Instagram-Story von Berlinbesucher*innen dienen.
In der aktuellen Situation könnte, den von Räumung bedrohten Szene-Räumen, aber eine Rolle zukommen, die sie seit langem nicht mehr fähig oder gewillt waren, einzunehmen. Sind es zwar die selben Mechanismen, welche zu ihrer Verdrängung führen, so können sie im Vergleich zu den vereinzelten Menschen, die üblicherweise von Zwangsräumungen betroffen sind, auf ein Netzwerk an Unterstützer*innen zurückgreifen. Auch wenn ein Großteil dieser Projekte, von einzelnen Ausnahmen mal abgesehen, eher die Bedürfnisse von Sub-Szenen bedienen, als das sie Brutstätten für den sozialen Aufstand wären, sind sie doch in der Position, Impulse zu setzen. Impulse, welche den Konflikt um die Stadtaufwertung, der aktuell weit über solche Szene-Milieus hinausreicht, befeuern könnten. Die meisten von ihnen haben mittlerweile erfahren, dass es wenig erfolgversprechend ist, sich von den hohlen Versprechen der Politik verleiten zu lassen und sich deren Taktiererei auszusetzen. Denn letzten Endes steht das Recht doch immer auf der Seite der Besitzenden. Auch wenn nachvollziehbar ist, warum Menschen Hoffnung in eine Lösung für das Weiterbestehen ihrer Projekte setzen, eröffnet der Bruch mit der Politik und dem Gesetzbuch eine ganz neue Perspektive, zu kämpfen. Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann sich von den Abhängigkeiten der Herrschaft ein Stück weit befreien und den Handlungsraum selbst bestimmen. Und genau darin könnte die Qualität der anstehenden Verteidigungskämpfe liegen, um diese in einen offensiven Moment des Angriffs auf die kapitalistische Stadt zu verwandeln. Nicht nur, um eine frontale Auseinandersetzung um ein paar Meter Mauern mit dem Staat zu suchen, sondern um die Idee der Subversion, die diesen möglicherweise innewohnt, überall sichtbar werden zu lassen. Der urbane Raum als umkämpftes Terrain bietet hier eine Vielzahl an Möglichkeiten, um den Gang der Dinge zu unterbrechen und anzugreifen. Dabei nicht nur auf die Symbole der Macht zu zielen, sondern auch auf die Adern der Zirkulation, die das Herz der Metropole schlagen lässt, kann den Ausverkauf der Stadt zumindest kurzzeitig spürbar beeinträchtigen. Ein geräumtes Haus muss daher nicht zwangsläufig eine Niederlage sein. Wenn es anhand solcher Ereignisse gelingt, den Faden der sozialen Spannung aufzunehmen und durch empowernde Momente das Gefühl der Vereinzelung und Ohnmacht, das für viele Mieter*innen in diesen Zeiten so allgegenwärtig ist, zu durchbrechen, kann es sich auch ins Gegenteil wenden. Langfristig werden die Mietkämpfe nur dann eine Perspektive haben, wenn wir bereit sind, die Eigentumsfrage ganz grundsätzlich zu stellen. Solange Wohnraum eine Ware bleibt, wird uns weder ein Mietendeckel, das Vorkaufsrecht, noch eine Enteignungskampagne, welche das Eigentum bloß vom privaten in staatlichen Besitz verschieben will und am Ende auch noch eine saftige Entschädigung für die Spekulant*innen bei rumkommt, eine nachhaltige Hilfe sein. Vielmehr müssen wir ein Netzwerk der Solidarität aufbauen, welches uns die Angst vor dem Verlust nehmen kann und gleichzeitig ermutigt, Neues zu erkämpfen und die Umwälzung aller Verhältnisse an zu visieren.
Dahingehend könnten die Aufrufe zur Verteidigung dieser Projekte auch eine Chance bieten. Dabei sollte nicht ausschlaggebend sein, wie sehr man sich im Einzelnen mit den Betroffenen verbunden fühlt oder ob diese Projekte unseren Vorstellungen eines besseren Lebens entsprechen. Sondern die Annahme, dass in allen Menschen das Potenzial schlummert, dass durch Kämpfe die geführt werden, die Freude für die Revolte entfesseln werden kann und gemeinsame Erfahrungen ein wertvoller Beitrag dazu sind.
Unmut gegen Start-Up Factory
In der Nacht zum 6. März wurde die Start-Up Factory am Ende des Görlitzer Parks erneut angegriffen. Dabei wurden Fensterscheiben zerstört und die Fassade eingefärbt. Die Factory dient als Scharnier zwischen etablierten Unternehmen wie der Deutschen Bank, Schaerffler, Telekom, etc. und der aufstrebenden Gründerszene. In einem Text, der zu dem Angriff veröffentlicht wurde, sprechen sich die Urheber*innen für eine stärkere militante Organisierung im Zusammenhang mit den anstehenden Räumungen aus und stellen fest: “Die Räumungsfrage wird zwangsläufig auf eine Konfrontation hinauslaufen. Es ist auch an uns zu entscheiden, ob aus dieser Konfrontation neue Bewegungslinke und Online-Aktivist*innen hervorgehen oder wir einige neue Gefährt*innen auf dem Weg der direkten Aktion und offenen Feindschaft mit dem Bestehenden begrüßen können.“
„Solidarität heißt Angriff!“
Echt Jetzt?
Kreuzberger Start-Up macht Miete-Senken zum Geschäftsmodell
Es gibt nichts, womit man nicht Kohle machen kann. Das dachten sich wohl auch einige Anwält*innen und IT-Expert*innen, die in einem Kreuzberger Hinterhof das Start-Up „wenigermiete.de“ ins Leben gerufen haben. Das Geschäftsmodell ist so simpel wie perfide. Im Wissen darüber, dass viele Mieter*innen zu hohe Mieten und Nebenkosten bezahlen oder angekündigte Mieterhöhungen nicht rechtens sind, ihnen aber das nötige Know-How oder die Ressourcen fehlen, um dagegen vor zu gehen, bietet das Start-Up auf ihrer Online-Präsenz nicht ganz uneigennützig Hilfe an. Trifft es zu, dass vom Vermieter zu viel gefordert wird, holen sie sich das Geld zurück oder berechnen das Ersparte bei ausbleibender Mieterhöhung und verdienen prozentual daran. Was auf den ersten Blick nach einer Wohltat aussieht, erweist sich als ziemlich dreiste Geschäftsidee, um aus der Abhängigkeit der Mieter*innen durch professionelle Hilfe Profit zu machen. Dass die Präsenz von solch innovativen Start-Up‘s in Kreuzberg fleissig an der Aufwertungs- und Preissteigerungsspirale mitschraubt, bleibt daher auch unerwähnt. Unterm Strich ist fest zuhalten, dass wir besser beraten sind, wenn wir uns auf der Basis von gemeinsamen Kämpfen und gegenseitiger Hilfe begegnen und zusammen tun, als dass wir uns der Vereinzelung der digitalen Plattformen, welche damit ihr Geld verdienen, hingeben und jeder für sich schaut wie man den Arsch ins Trockene kriegt.
Fuck off wenigermiete.de – start up revolt!
Zwangsräumungen
In Berlin kommt es jährlich zu ca. 5000 Räumungsurteilen. Damit ist die Stadt im bundesweiten Vergleich absoluter Spitzenreiter. Wie viele davon tatsächlich zu Zwangsräumungen führen, ist unbekannt, da die Bezirke unterschiedliche oder keine Statistiken dazu führen. Was sich aber abzeichnet, ist, dass einerseits die Anzahl der Räumungsklagen insgesamt zwar sinkt, diesen aber immer öfter stattgegeben und sie von Gerichtsvollzieher*innen vollstreckt werden. Auch ist ein deutlicher Zusammenhang zwischen Mietsteigerung und Zwangsräumungen in den einzelnen Bezirken zu erkennen. Besonders oft sind Hartz4-Empfänger*innen davon betroffen, da das Amt die stetig steigenden Mieten nur bis zu einem bestimmten Grenzwert übernimmt. Für Eigentümer*innen erweist sich der Rausschmiss von Altmieter*innen als eine lukrative Maßnahme, da bei Neuvermietung hohe Rendite winken.
Immer wieder kommt es aber auch zu Widerstand gegen solche Räumungen. Vor allem die Räumung des Hausprojektes Liebig Str. 14 (2011) und die Wohnung der Familie Gülbol in der Lausitzer Str. 8 (2013) sind dabei Vielen in Erinnerung geblieben und haben Mut gemacht.
Bei der Liebig14 kam es bereits im Vorfeld der Räumung zu einer Vielzahl von Angriffen auf Symbole der Stadtaufwertung, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Demos mit bis zu 5000 Personen. Am Räumungstag selbst konnte das Haus zwar unter dem Einsatz von 2500 Bullen geräumt werden, dies jedoch nur begleitet von berlin- und bundesweiten Protesten, Blockade- und Sabotageaktionen. Die Solidarität und Entschlossenheit in diesen Tagen haben noch lange Zeit ihre Nachwirkungen gehabt. Bei den Mobilisierungen zur Zwangsräumung der Familie Gülbol konnte im Herbst 2012 zum ersten Mal eine Zwangsräumung durch eine Sitzblockade verhindert werden. Dies wiederholte sich auch beim zweiten Anlauf der Gerichtsvollzieherin im Dezember 2012. Als sich zum dritten Versuch im Februar 2013 ankündigte, dass die Räumung mit Unterstützung der Bullen durchgesetzt werden soll, nahm auch die Mobilisierung zur Verhinderung dessen immer größere Züge und es kursierten Aufrufe zur Störung für den Räumungstag. So kam es dann, dass 2000 Bullen samt Hubschrauber aufgeboten wurden, um die Räumung einer einzigen Familie durchsetzen zu können. Tausende Leute zeigten sich solidarisch. Vor dem Haus gab es eine große Sitzblockade, wilde Demos zogen durch den Kiez und bezirksübergreifend wurde für Unruhe gesorgt um Polizeieinheiten von der Räumung abzuziehen.
Wenn man bedenkt, dass solche Räumungen täglich 10 bis 15 Mal stattfinden, ist an diesem Tag wohl allen Beteiligten klar geworden, dass die Kosten-Nutzen Rechnung bei einem weiter so für die Stadt nicht aufgehen kann, was dann auch zu einem Kurswechsel führte. Seither ist die Politik stets bemüht, bei großer Öffentlichkeit individuelle Lösungen für Betroffene zu finden um nichts mehr anbrennen zu lassen. Zwar gibt es Menschen, die sich seitdem unermüdlich um den Support von Betroffenen kümmern und auch in letzter Zeit gab es einige Termine, bei denen zur Räumungs-Verhinderung aufgerufen wurde. Die Kraft aus den Jahren 2011 und 2013 war aber nicht mehr zu spüren. Höchste Zeit also, dies wieder zu ändern. An bevorstehenden Räumungen mit großer Symbolkraft mangelt es schließlich nicht und es ist davon auszugehen, dass die „Corona-Krise“ viele Mieter*innen nach dem Räumungsstopp der nun bis September verordnet wurde, in die Schuldenfalle treiben wird, was wiederum eine Welle von Zwangsräumungen befürchten lässt.
Infos und Kontakt für Betroffene gibt es unter: berlin.zwangsraeumungverhindern.org
Vernetzung der betroffenen Projekte: interkiezionale.noblogs.org