Über tödliche Schüsse in Berlin-Friedrichshain
Ende Januar wurde in Berlin-Friedrichshain ein Menschenleben durch die Kugel eines Bullen beendet. Es ist 4 Uhr in der Früh, als der Mitbewohner der 33-jährigen Maria die Polizei alarmiert. Laut Presse gibt er an, von ihr bedroht worden zu sein. Als zwei Beamte am Ort eintreffen, befindet sich die Frau in ihrem Zimmer, die Tür ist zu. Die Bullen stürmen hinein und geben einen Schuss auf ihren Oberkörper ab. Sie ist sofort tot. Sie werden nachher erzählen, sie seien von ihr mit einem Messer bedroht worden. Es dauert nicht lange, bis die Polizei die Propagandatrommel anrührt und die Sensations-Presse unhinterfragt auf den Zug mit aufspringt. So ist kurze Zeit später abwertend von „Messerfrau“ und „Drogensüchtiger“ zu lesen, als wäre es eine Rechtfertigung für ihre Tötung. Auch kann man erfahren, dass die Frau immer wieder schwierige Zeiten durchlebte und gesundheitlich Probleme hatte. Viele in der Nachbarschaft kannten sie. Wussten von ihren Schwierigkeiten, hatten sie natürlich aber nie als Bedrohung wahrgenommen. Am nächsten Tag treffen sich spontan um die hundert Leute vor dem Haus. Unbegreiflich das Geschehene. Neben tiefer Trauer über den Verlust eines Menschenlebens eint die Anwesenden aber auch die Zweifel an der Version der Geschehnisse, wie sie von Marias Mörder und seinem Kollegen erzählt wird. Dies mit gutem Grund. Wer Maria kannte, tat sich schwer mit der Vorstellung, dass zwei trainierte, mit Schutzkleidung ausgerüstete und bewaffnete Beamte nicht in der Lage gewesen wären, eine Person wie sie, mit ihrer physischen Beschaffenheit, auch ohne tödliche Schüsse zu überwältigen. Aber auch das Wissen darüber, dass es in den letzten Jahren immer wieder zu ähnlichen Situationen mit tödlichem Ausgang kam, wo im Nachhinein viele Fragen offen blieben, verstärken diese Annahme. Selbst dann, wenn es Videos gab, die das Geschehen dokumentierten, und offensichtlich andere Handlungsmöglichkeiten gegeben waren, wurden die Todesschützen nie angeklagt. Auch im Fall der Ermordung Marias hielt es die Polizeipräsidentin nicht für nötig, Ermittlungen abzuwarten, um ein Urteil zu fällen. Sie ist sich sicher, der Beamte habe richtig gehandelt und stellt sich schützend vor ihn. So wird auch dieser „Fall“ im Aktenschrank verschwinden und was sich in der Wohnung genau abgespielt hat, wird unbekannt bleiben.
Man könnte nun darüber sehr empört sein, dass es kein Interesse an „Gerechtigkeit“ gibt, wenn der Angeklagte ein Bulle und die Getötete eine Person ist, der psychische Probleme zugeschrieben werden. Wer bereits mit der Polizei zu tun hatte oder solche Meldungen aufmerksam mitverfolgt, weiß, dass dies System hat. Vor dem Gesetz sind eben nicht alle gleich. Es ist kein Zufall, sondern die Struktur, welche dieser Behörde zu Grunde liegt. Es ist die Notwendigkeit eines jeden Staates, dass diejenigen, welche zur Sicherung der Macht in ihrem Dienste das Gewaltmonopol innehaben, unfehlbar sind. Diese Unfehlbarkeit ist eine der wesentlichen Rechtfertigungen für die Legitimation, als einziger Gewalt anwenden zu dürfen. Diese Idee zieht sich durch alle staatlichen Institutionen und wird genau so von der Justiz umgesetzt. Würde dies von einem Großteil der Bevölkerung in Frage gestellt werden, wäre es eine ernsthafte Bedrohung für den Staat. Deshalb auch die Notwendigkeit, dass wenn die Wahrheit doch mal ans Licht kommt, stets von Ausnahmen und Einzelfällen zu sprechen, denen nachgegangen werde. Zumindest so lange, wie es eine Öffentlichkeit gibt, vor welcher man die demokratische Maske bewahren möchte.
Nach einem Vorfall wie in Friedrichshain sollten sich deshalb Alle die Frage stellen, ob es wirklich eine Option ist, die Cops zu rufen, um solche Konflikte zu lösen. Sicherlich, es gibt Situationen, auch gewaltvolle, wo das Kräfteverhältnis sehr ungleich ist oder wir total überfordert sind. Dazu müssen wir uns Gedanken machen, was es jenseits der Delegation des Problems an den Staat für Möglichkeiten gibt. Der Aufbau eines sozialen Netzes, dass in solchen Situationen zur Seite steht, wäre dabei sicherlich hilfreich. Aber ist es nicht so, dass sowieso die meisten Konflikte ohne Polizei ausgetragen werden und das Hinzuholen von bewaffneten Schergen, die wie Cowboys auf ein Geschehen einwirken, oft total kontraproduktiv ist oder gar zur Eskalation beiträgt? Ist es nicht offensichtlich, dass in einer Ausgangssituation, wie sie sich in Friedrichshain darstellte, eher darüber nachgedacht werden sollte, ob nicht Freund*innen, die eine Person in all ihren Facetten kennen oder erfahrene Menschen, die wissen wie sie Personen in sozialen oder psychischen Krisensituationen unterstützen können, dazu geholt werden sollten? Warum Bullen? Sie haben vor allem gelernt wie sie mit Gewalt in Konflikte eingreifen und dass sie für ihr Verhalten nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie wissen, dass ihre Befehlshaber*innen bedingungslos hinter ihnen stehen und sind im Umkehrschluss auch bereit ohne zu zögern, gehorsam zu sein und Befehle auszuführen. Sie haben meist vorgefertigte Muster und Feindbilder im Kopf nach denen sie handeln, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Und wer freiwillig in diesem Verein arbeitet, dürfte wohl auch gewisse Charaktereigenschaften mitbringen, welche nicht gerade dafür sprechen, mit Feingefühl und Sensibilität auzutreten. Man muss beim besten Willen nicht viel Menschenkenntnis besitzen, um darauf zu kommen, dass mit gezogener Waffe durch die Tür zu rammen nicht gerade deeskalierend wirkt. Wer die abfälligen Kommentare über Marias Tod durch die eingesetzten Bullen bei der darauf folgenden Demonstration mitgekriegt hat weiß, was für menschenverachtende Arschlöcher im Auftrag des Staates bewaffnet durch die Stadt rennen. Und so bleibt es leider eher eine Frage der Zeit, bis die nächste Person durch die Kugeln dieser Institution ermordet wird.