Was wählst du?

In den Straßen hängen wieder Plakate mit – wenn auch meistens anderen – Gesichtern, jedoch den immer gleichen plakativen Sprüchen. Flugblätter unterschiedlicher Parteien werden einem wieder mal in die Hand gedrückt oder in den Briefkasten geworden. Aufs erneute wird um „Stimmen“ gebuhlt. Es sind Wahlen… Und die Parteien und Politiker*innen hoffen, dass sie überzeugen können und Menschen bei ihnen „ihr Kreuz“ machen. Und diejenigen, die zur Wahl gehen, erhoffen sich mit „ihrer Stimme“ ihre Situation zu verbessern. Was jedoch das ganze politische Papier und die Pappe in den Straßen vor allem signalisiert, ist, dass man als Bürger*in wählen gehen soll, oder anders: die Wahlbeteiligung ist notwendig für die Legitimation des Staates!

Politik ist unzertrennlich verbunden mit dem Staat. Und anders herum benötigt jeder Staat eine Struktur, die bei der Verwaltung der Menschen hilft. Inwieweit dann ein Staat alle oder nur wenige dazu verpflichtet an der Politik „teilzunehmen“, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die jedoch immer dazu bestimmt sind, dass der Staat als zentrale Autorität fungiert und die Macht sammelt. Das bedeutet, dass in diesem Rahmen gesellschaftliche Probleme nur durch und mit dem Staat gelöst werden können. Die Unzufriedenheit bspw. über die Wohnungssituation oder Arbeitsbedingungen darf daher aus Sicht der Autoritäten nicht von den (betroffenen) Menschen selbst angepackt werden – wenn, dann nur zu einem gewissen Maße. Die Unzufriedenen müssen sich stattdessen mit Unterschriftenlisten oder Wahlzetteln an die Regierung richten. Mehr lässt die „politische Errungenschaft“ – die Demokratie, in deren Namen man sich verpflichtet fühlen soll seine „Stimme abzugeben“ – nicht zu. Man gibt die eigene Stimme dann einer Partei und Politiker*in, die sich auch, selbst wenn sie aus Überzeugung handelt, immer innerhalb des politisch-parlamentarischen Rahmen befindet, bei der Gelder und eigene politische Macht von größerer Bedeutung sind.

Die Essenz der politischen Wahl (wie auch der Politik) ist in erster Linie immer die Herrschaft, bzw. den Staat zu ermächtigen. Die Lösung von gesellschaftlichen Problemen (durch die Politik), ist immer zweitrangig, eben nach der Legitimation des Staates. Daher geht es um mehr Befugnisse, Verbote, Regulierungen, usw., da dies einen Staat, Herrschaft und Autorität notwendig macht und bestärkt. Aber wie kann man die Wohnungssituation grundlegend verändern, wenn man nicht die Eigentumsverhältnisse, die für den Staat unerlässlich sind, erschüttert? Wie kann man prekäre Lebenssituation und Armut bekämpfen, wenn man weiterhin im kapitalistischen Rahmen bleibt? Wenn man nur die Lösungen in Betracht zieht, welche die soziale Marktwirtschaft bietet (Arbeitslosengeld, Mindestlohn, usw. also lediglich die Armut verwaltet)? Grundsätzlich werden durch „Wahlen“, die Politik, keine Probleme gelöst, geschweige denn, gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Es werden lediglich Konflikte befriedet, verwaltet und verlagert. Wenn man die Analyse teilt, dass Staat und Kapital die fundamentalen sozialen Probleme schaffen, dann ist es eine Farce zu glauben, dass man mit seinem „Kreuzchen“ etwas ändert oder verbessert, oder gar grundlegendes an den Verhältnissen ändert. Es sollte daher nicht überraschen, dass eine SPD zwar von „Selbstbestimmung“ redet, jedoch maßgebliche repressive Maßnahmen gegen arme Menschen ausarbeitet; dass die Partei die Linke in Thüringen an Abschiebungen beteiligt ist und so weiter…

Politische Wahlen sind bloß für diejenigen wichtig, die sich bereits mit der beschränkten Rolle der Bürger*in – und somit auch den Staat als ultimative Autorität – abgefunden haben; also sich auch damit Abgefunden haben, dass gesellschaftliche Probleme am politischen Tisch gelöst werden sollen. Denn durch die Entscheidung zur politischen Wahl zu gehen, entscheidet man sich, dass die gesellschaftlichen Konflikte – die Frage „wie zusammenleben?“ – der „Straße“ (an der sich jede*r direkt beteiligen kann) entrissen wird und lediglich am politischen Tisch indirekt durch Repräsentant*innen diskutiert werden soll; an dem Platz der nur Politiker*innen vorbehalten ist oder denen, die zu ihnen werden. Der Glaube, dass gesellschaftliche Themen, die einmal von der Politik (bzw. dem Staat) vereinnahmt wurden, wieder auf die „Straße“ gelangen, ist schlichtweg naiv. Und hier spreche ich nicht mal davon, wie soziale Konflikte von der Politik befriedet werden, so dass sie keine radikalen Fragen mehr stellen oder keine Gefahr mehr für die bestehenden Verhältnisse darstellen.

Zu der in der Überschrift aufgeworfenen Frage: Was wählst du? Ich wähle die direkte Auseinandersetzung mit sozialen Problemen, ohne Repräsentation und ohne Stimmzettel. Ich gehe also nicht wählen (auch nicht zu Volksentscheiden), dies nicht, weil mir das Wahltheater egal ist, sondern ich bleibe bewusst jeglicher politischen Wahl fern. Es ist nicht nur entscheidender was man Abseits der Urne macht. Die politische Wahl steht einem selbstbestimmten Leben entgegen. Wahlen tragen dazu bei, dass die Idee der Repräsentanz und die Entfremdung gestärkt wird, dass man zwar sagen kann was das Problem ist, jedoch andere entscheiden was für einen die bessere Lösung ist. Wahlen stärken den Staat und das Kapital, welche grundlegende Verursacher gesellschaftlicher Probleme sind. Durch die Wahlen geht die (u.a. eigene) Unterdrückung und Ausbeutung weiter und wird legitimiert, egal welche Partei man wählt.

Es geht also um eine grundlegende Kritik an Wahlen, einer so wichtigen Methodik des Staates, um sich zu legitimieren und zu bevollmächtigen. Wahlen bleiben immer innerhalb der Staatlichkeit, also können sie die Ursachen niemals bekämpfen (bestenfalls nur die Symptome erträglicher machen). Wenn man ein Interesse an realer oder auch tiefgreifender Veränderung hat, dann muss man Pfade fern ab von Wahlen, Stimmzetteln und Repräsentanz suchen und diesem Wahltheater bewusst entgegenstehen.

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