Inflation leicht erklärt. Die oder das Bö(r)se

Seit Monaten heißt es, dass die aktuell steigenden Preise und Unterhaltskosten das Resultat einer veränderten Situation von Angebot und Nachfrage als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wären. Diese Erklärung ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Auch wenn Faktoren wie Lieferkettenstörungen als Folge von Krieg und Corona stellenweise ihren Anteil an Preisentwicklung haben, dient sie wohl eher dem Zweck Russland als Buhman für die Krise darzustellen um nicht über Zusammenhänge von spekulativen Finanzmärkten und der Embargopolitik europäischer Staaten gegenüber Russland reden zu müssen.

Denn es ist nicht die Realwirtschaft, welche die Kosten bestimmt. Es ist der Handel an den Börsen, welche die Wertigkeiten festlegen. Diese auf Spekulationen aufgebaute Wirtschaft hat mit dem am Ende des im zweiten Weltkrieg vereinbarten Bretton Woods Vertrages in den 1970ern begonnen und wurde durch Gesetzesänderungen im Jahr 2000 noch extrem verschärft. Mit der Liberalisierung der Finanzmärkte wuchs der Einflussbereich von privaten Banken, Investment- und Hedgefonds zunehmend und damit auch die Bedeutung von spekulativem Kapital in Form von Krediten, Aktien und Anleihen. So sind wir heute in jenem Moment angekommen wo das Spiel an der Börse diese Realität bestimmt. Jeden Tag werden die Preise neu festgelegt, an den Bildschirmen der Börse, je nach Weltlage, Nachfrage und Möglichkeiten. Dort werden auch sogenannte Derivate verhandelt – Finanzprodukte, deren Preis sich beispielsweise von einem Wertpapier, einer Währung oder eben Rohstoffen ableitet, mit denen sich auf künftigen Entwicklungen von diesen wetten lässt. Steigt z. B. ein Rohstoffpreis profitieren Anleger*innen oder verzeichnen eben Verluste. Anders als bei dem direkten Kauf von Aktien lässt sich hierbei aber auch auf fallende Kurse spekulieren. Das alles bedeutet sehr vereinfacht ausgedrückt; die Spekulationen auf die Werte der Waren an der Börse bestimmen den Preis, den Staaten, wir, alle am Schluss zahlen müssen.

Die Preisgestaltung von Energierohstoffen wie Öl und Gas, liegt also kaum im Einflussbereich von Russland, irgendeiner anderen Regierung oder bei den Konzernen selbst. Auch wird diese zur Zeit weniger durch eine reale Knappheit oder Versorgungsengpässe beeinflusst, als durch Spekulationen auf mögliche Knappheiten in naher Zukunft. Der Zusammenhang von Inflation und Krieg liegt hierbei also darin, dass durch Sanktionen und die Embargopolitik der EU auf russische Rohstoffe Unsicherheiten an den Märkten verursacht werden, was diesen Spekulationen wiederum Vorschub leistet und die Preise absurd in die Höhe steigen lässt. Ähnlich wie das bei den Hypotheken auf Häuser im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 schon der Fall war. Da jede Warenproduktion unweigerlich von Energierohstoffen abhängig ist, hat dies schnell auch Auswirkungen auf die Preisentwicklungen in anderen Bereichen der Wirtschaft, wie das bei den Kosten für Nahrungsmittel nun deutlich zu spüren ist. Die Inflationsrate steigt, sprich Waren werden teurer während die Kaufkraft der Konsument*innen sinkt, weil ihre Einkommen gleich bleiben.

Es ist das System an der Börse, wo Kapitalbesitzer*innen ihr Geld über Grenzen hinweg bewegen und verspekulieren können. Das passiert ohne Rücksicht auf die Folgen für die jeweilige Wirtschaft, die Wechselkurse oder die Rohstoffe und Ressourcen, von denen schlussendlich Menschen abhängig sind. Gier und Profitstreben sind treibende Motoren dieses Systems. Preise werden innerhalb der Finanzmärkte bestimmt und dies passiert so undurchsichtig und komplex, dass niemand wirklich durchblickt. Uns nun anzuhalten durch individuellen Verzicht die Kosten einzusparen, die der Staat für Öl und Gas aufzubringen hat, geht an einer tatsächlichen börsenbasierten Realität vorbei, die nicht einmal verständlich, geschweige denn Wirklichkeit ist. Unser Verzicht wird sicher keine Preise regulieren. Ganz abgesehen davon sind Finanz- und Wirtschaftskrisen keine Ereignisse die völlig unerwartet eintreten, sondern dem Kapitalismus systemimmanent und stets nur eine Frage der Zeit. Es ist schließlich nicht so als wären solche Prozesse nicht schon längst vorausgesagt und davor gewarnt worden. Während solche Krisen für finanziell schwache Menschen aber existenzielle Probleme bedeuten, dienen sie den Verantwortlichen vor allem dazu die Finanzmärkte zu modernisieren. Das Ergebnis ist, dass denen die ohnehin kein Geld haben auch noch der letzte Cent aus der Tasche gepresst wird, während die Reichen immer mehr Kapital anhäufen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Die interessante Frage ist, wie weit sich diese noch strapazieren lässt bis das Gelenk was sie zusammenhält endgültig auseinander bricht.