Die Schildkröte im Netz aus gequirlter Scheiße und Ödnis

Ich hab Angst. Bis jetzt war doch alles so bequem und gut. Bisher konnten viele nach dem Motto leben: „nach uns die Sintflut“. Ich wollte das auch. Bedenkenlos in der Welt herum fliegen. Kaffee to go ohne Ende, Shampoo aus Plastikflaschen, Trinkwasser in der Toilettenschüssel, … Und jetzt? Jetzt hab ich bei allem ein schlechtes Gewissen. Und nicht nur das – ich habe Angst vor der Zukunft. Verdammt. Krieg und Leid. Gibt es noch Hoffnung? Ich will Hoffnung haben; feiernd durch die Nächte meiner Jugend, dann im Alter noch eine entspannte Ruhe genießen und meine noch ungeborenen Kinder, die im Frieden aufwachsen.

Ich bin es doch nicht gewesen, die das Salz in die Oder schüttete. Ich habe kein Sprengstofflager im Grunewald. Ich bin auch nicht Teil der Teslafabrik, die das Grundwasser in Grünheide abschöpft – warum soll ich Verzicht üben? Ich kleine Hanswurst*. Ich will mir diese Verantwortung gar nicht anziehen, aber das schlechte Gewissen ist längs schon gepflanzt.

Ich möchte ja, dass Bäume wachsen und nicht austrocknen und verbrennen. Alle Menschen sollen genügend Wasser haben und nicht vor Hitze umkommen oder in Fluten ertrinken.

Die Gletscher. Der Regenwald. Pandabären. Ich hatte als Kind so viele naive Hoffnungen. Im 20. Jahrhundert ist doch so viel verstanden worden? Die Banalität des Bösen. Das Unbehagen in der Kultur. Mein Buchregal voll gestellt mit Dystopien und aus Gelebtem geborgene Geschichten. Das siebte Kreuz. 1984. Sonnys Blues. Die Wolke. Die Welle. Ich wusste was ich zu denken und zu meinen habe. Auch an Erich Kästner, der in jedem Buchrücken dazu aufrief, die Kindheit nicht abzulegen wie einen alten Hut, habe ich mich daran gehalten, soweit wie mir möglich, aber warum so viele der Anderen nicht? Der Weg durch die Institutionen macht sie immer wieder zu Verräter*innen und sie wissen es, sie begreifen es, aber sie entscheiden sich für sich und gegen uns. Jene, die sich als bürgerlich- grün- kritisch gerieren leben nur eine Ästhetik des Widerstands. Leider so. Kultur und Geschichte als Futter einer kritischen Haltung, die aber außer Halten kaum anderes vermag. Sich irgendwie dagegen fühlen, es aber nie wirklich sein oder leben. Wissen um zu wissen was mensch wissen muss, aber Widerstand hat nur wenig mit Wissen zu tun. Er ist reine Liebe und Härte. Und so schwer zu machen. Das ist mir bewusst. An diesem kleinen Nadelöhr kann ich die Entscheidung zur Bequemlichkeit nachvollziehen, schaue neidisch auf jene die mit ihrem E-SUV um die Ecke rollen und sich getrost einreden können, dass sie damit ihren Teil beitragen und dabei allen Luxus und alle Vorzüge genießen. Ich bin offen neidisch, aber ohne das wirklich haben zu wollen. Denn die Gletscher lassen sich nur mit aktivem Entgegenhalten daran hindern mit dem Rücken nach außen, aus der Tür der Welt zu treten.

Nope – no hope. Die Zeiten werden wohl wirklich nicht besser. In all den anderen Texten in diesem Blatt ist alles schon dargelegt. Fortschritt ist nur der Schritt über den Abgrund. Die Herrschenden wissen wie sie sich Brücken bauen können. Und diese Brücken werden sie sich verschiedentlich absichern, dass wir keinen Fuß werden darauf setzen können. Aber wir können versuchen ihre Brücke zu zerstören und auch wenn das manchmal aussichtslos erscheint, dann ist es genau das was ich suche: die Lust und Freude an den unzähligen Versuchen und all dem Scheitern ihre Brücken abzureissen.

Ich ändere meine Meinung. Jetzt. Ich möchte all die Hoffnungen einer sehr privilegierten Welt fahren lassen, ich möchte doch keine Hoffnung auf ein bequemes Leben. Ich will das Bequeme nicht, es fühlt sich falsch an und ist auch langweilig. Ich will meine Hoffnung umerziehen.

Ich muss Hoffnung auf mich selbst entwickeln. Ich möchte die widerständige Person sein und werden, die ich von mir selbst erwarte. Ich weiß, dass es anstrengend sein wird, aber ich erwarte von mir ein Geradestehen, auch wenn es nicht um mich geht. Ich erwarte und wünsche mir eine Freude an den Anstrengungen der Proben von eigener Organisierung, neuer kollektiver, gemeinsamer Prozesse. Eine Lust an dem Zusammensein mit anderen Menschen, die größer ist als der Rückzug auf mich selbst und möglicherweise nur vor dem Bildschirm.

„Die Welt ist ein gefährlicher Ort, nicht wegen der Menschen die böse sind, sondern wegen der Menschen, die nichts dagegen tun.“ Der Angriff auf uns wird vielfältig sein, von Rechts, vom kapitalistisch vereinnahmten Links und von dem was sich an Sicherheitsarchitektur vor uns aufbaut.

Ja Sicherheit. Neben der Vergewaltigung der Natur ist das Konzept Sicherheit der menschengemachte Missbrauch von Bedürfnissen und regressiver Lust an wohltuendem Aufgefangen werden.

Vielleicht hab ich ein Klugscheißer-Gähn. Und somit hier die alte Weise oder der hässliche Satz. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Leicht näselnd klingt es „Homo homini lupus“. Dieser Satz mehr als 2000 Jahre alt. Beweise durch Milgram und Stanford, auch schon wieder über 50 Jahre alt. Menschen übernehmen leichthin die Aufgabe und Macht anderen Menschen die Grenzen von oder gegenüber irgendetwas, Eigentum, Verhalten, Bezahlung, dem hier-so-sein durch und mit Gewalt aufzuzeigen und durchzusetzen. Hier ist der Knüppel, die Hose mit vielen Taschen, der trainierte Begleitbeisser im Hundefell und schon verkörpern Menschen die Macht die ihnen übertragen wurde und gockeln mackrig durch die Gegend. Private Sicherheitsunternehmen in Zusammenarbeit mit den Bullen; Lücken schließen, um jedem noch so geringsten Fehlverhalten hinterher zu kommen und es kriminalisieren zu können. Ich übertreibe? Nein, das Konzept hat auch noch einen wohlklingenden Namen: public- privat- partnership. Die Security in berliner U-Bahnhöfen ist nicht besser und auch die Ordnungsamtleute sehen immer bulliger aus und haben neben einer kurzen Lunte eine kurze Leitung zu den Bullen selbst.

Das Bedürfnis nach Sicherheit, es ist so widersprüchlich. Zum einen ist jede*r irgendwie Kontrollfreak, aber gleichzeitig so inkonsequent. Jede*r hat ein PIN fürs Telefon, aber alle Daten rein schießen ins Netz, dass es nur so überquillt von gequirlter Scheiße und Ödnis. Mir ist es schlussendlich egal, was alle privat machen, aber leider hat es Auswirkungen auf unser gemeinsames Leben. Internetbasierte Geräte sind für viele Wecker, Navigation, Terminplaner, Einkaufshilfe zum Bestellen und Bezahlen und die Liste ist nicht komplett. Was soll der PIN, wenn alles abgegeben wird? Uns ist nicht klar mit wieviel Müll wir das Internet volldampfen, woraus wieder Künstliche Intelligenz (KI) gefüttert wird.

Ich empfinde es jetzt schon als Verrat so offen mit den ganzen Kameras und Mikrophonen herum zulaufen. Leicht vorstellbar eine vorinstallierte App, die Gesichter illegalisierter Menschen erkenne oder auch Gesichter von Menschen die ihre Strafe für Fahren ohne Fahrschein nicht bezahlt haben. Die KI, momentan noch im Körper eines süßen Saugroboters oder einer Alltagshilfe wie Alexa wird uns vielleicht eines Tages so angenehm motivierend anschnauzen, wie es die KI durch die überzeugende Qualität von Kommentierungen gelernt hat: „Du hast nur eine halbe Stunde oder gar nicht geputzt, du gehörst mal selber richtig durchgefeudelt. Du Schmutz.“ Die KI wird so zauberhaft männlich sein, wie die Welt in der wir uns bereits jetzt schon bewegen. Bitte nicht falsch verstehen, das war keine Aufforderung für mehr Frauen, Flinta*s im Netz; nein, kommt bitte alle raus da!

Hoffnung umerziehen? Wie ich darüber nachdenke hab ich vielleicht doch gar keine Hoffnung mehr. Der Mensch ist ein Arschloch und damit will ich jene nicht verletzten, die auf Analsex stehen. Gebt mir ein besseres Schimpfwort und ich will bei aller Korrektheit dann das benutzen. Ich hasse den Menschen, dabei möchte ich lieben. Ich möchte lieben, weil ich soviel gewinne in all den sozialen Momenten, wo wir uns finden und fanden. Das und dort möchte ich leben. Wo wir verstehen, dass wir doch gleiches wollen. Es sind die zwischenmenschlichen Momente, die mir das Leben erträglich machen, die mich glücklich machen. Ich bin Mensch und möchte unter meinesgleichen sein. Ich möchte Freund*innenschaften haben und Verbündete kennen. Ich möchte mich anregen und inspirieren lassen. Ich möchte meine Wut gegen den Angriff auf uns mit anderen teilen, die Leidenschaft am Widerstand gemeinsam leben. Lachend durch die Straßen und mich auch in meiner gesunden Wut gegen die auferlegte und mich auch real unterdrückende Krise mit Verbündeten stark fühlen. Lauf an meiner Seite so kraftvoll, wie wir es für den Widerstand brauchen. Nicht wie Securities bullig ausschließend maßregelnd herumstolzieren, sondern beschwingt mackrig und einander bestärkend. Seid schön und proud. Ich wünsche mir und jeder Person eine selbstbewussten Gang, sich nicht zermürben, sich schön fühlen, ja das mindeste sich richtig fühlen. Du bist hier und das ist gut, das ist schön. Nebeneinander stark sein, miteinander Ängste teilen, gemeinsam in Leidenschaft widerständig sein und sich nicht kleinkriegen lassen. Wie die Schildkröte vor dem Leoparden. Der Leopard wird endlich der Schildkröte habhaft und sie bittet um etwas Aufschub bevor er sie töten wird. Da beginnt sie vor sich den Boden zu bearbeitet, scharrt mit ihren Füßen, gräbt, wühlt und wirft Steinchen um sich. Nach einer Weile fragt der Leopard nach ihrem Tun und sie antwortet ihm: „Weil ich will, dass die Leute, wenn sie nach meinem Tod an dieser Stelle vorüber gehen, sagen: Ja, hier haben zwei gekämpft, die sich ebenbürtig waren.“