Müntzer und der neuzeitliche grüne koloniale Ablasshandel

Nun ist es soweit, ich fühle mich zurückgeworfen in Zeiten der Inquisition und ihren Erfindungen der Ablassbriefe. Mit ihnen war es ab den 14. Jahrhundert möglich, nach einer begangenen Sünde durch den Erwerb dieser teuren Kirchenbriefe Gottes Gnade zu erlangen. Die Kirchenoberhäupter waren, damals so wie heute, nicht wirklich an einen Lebenswandel ihrer Schäfchen interessiert, denn der teure Verkauf dieser Ablassbriefe oder Sündenerlasse ließ die Kassen der Kirche überschwemmen und ihre Priester im Luxus suhlen. Hier will ich am Beispiel des neuen CO2 Emmissionshandels und Kompensationshandels die Klimasündigen und die Klimasuhlenden outen und mich auf die Suche nach den „Martin Luther*n“ und „Thomas Müntzer*n“ der heutigen Welt machen.

Beiden war gemein, dass sich sündige Menschen nicht durch Geld den Weg in den Himmel bahnen konnten. Nur eine feste Überzeugung des Glaubens und das Vertrauen auf die Gnade Gottes konnten Abhilfe schaffen. Müntzer war zuerst Anhänger Luthers, doch sein Widerstand richtete sich nicht nur gegen die geistliche Obrigkeit, sondern auch gegen die weltliche Ordnung. Im Gegensatz zu Luther stand Müntzer für die gewaltsame Befreiung der Bauern und betätigte sich in Mühlhausen/Thüringen, wo er Pfarrer einer spirituellen Theologie war, als Agitator sozialrevolutionärer Bestrebungen und Aufstände. Dort versuchte er, seine Vorstellungen einer gerechten Gesellschaftsordnung umzusetzen: Privilegien wurden aufgehoben, Klöster aufgelöst, Räume für Obdachlose geschaffen, eine Armenspeisung eingerichtet. Schließlich scheiterten die Bestrebungen am brutalen Zurückschlagen des Adels. Nach der Schlacht in Frankenhausen wurde er am 15. Mai 1525 gefangen genommen. Er wurde gefoltert und am 27. Mai 1525 öffentlich enthauptet.

Mit dem neuen CO2-Ablasshandel können sich Staaten oder große Firmen Rechte für CO2-Ausstoß in anderen Staaten oder Gegenden, vor allem im „billigeren“ globalen Süden, kaufen. Europäische Staaten können sich so weiterhin auf billige Weise mit dem absurden Lebensstandard im Überfluss auf Kosten „Anderer“ suhlen. Das bedeutet ganz einfach, dass der weltweite Emissionshandel lediglich der Zementierung herrschender Zustände dient. Gegenden, die über die natürlichen Ressourcen und somit über die Verhältnisse leben, wie z.B. Europa, werden dies weiterhin tun. Andere Gegenden, die durch den seit dem 16. Jahrhundert andauernden Kolonialismus gezeichnet sind, wurden und werden die Möglichkeiten autonomer Selbstbestimmung ihres Zusammenlebens weiterhin verwehrt.

Nun, ich behaupte also, dass der heutige C02 Emmisions- und Kompensationshandel dem Ablasshandel im Mittelalter ähnelt und sich die Kolonialgeschichte in Folge der Inquisition, heute in Form eines grünen Kolonialismus, die Hand reicht. Denn in dieser Welt des Kompensationshandels wird kein CO2 Ausstoß gedämmt, sondern wenn überhaupt ein schlechtes Gewissen beruhigt. Unsere individuelle und kollektive Verantwortung für Leben auf diesem Planeten verschwindet unter dem dünnen Deckmäntelchen eines wie auch immer gearteten klimaaktivistischen Verhaltens. Der neue grüne patriarchale und kapitalistische Kolonialismus folgt den bekannten Glaubensvertreter*innen und ihrer Heilserwartung: jedes kleine Stück Land oder Natur des Planeten muss verkauft werden, um ihn zu retten. CO2-Kompensation ist also Ablasshandel und Green Grabbing ist Landgrabbing, also die Aneignung von Land und Ressourcen überall in der Welt, die im Namen des neuen Klimaschutzes und den dafür ausgerufenen energie, -klima und entwicklungspolitischen Massnahmen geschehen.

Im Namen des Klimaschutzes werden Kompensationsprogramme vor allem im globalen Süden, in Form von Naturschutzgebieten/Parks, Waldaufforstungsgebieten REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries), Baumplantagen und Wasserkraftwerken, Staudämmen und auch mal eines neutralen Kohlekraftwerks durchgesetzt, die die Souveränität zerstören, zu Landvertreibungen der Bewohner*innen und ökologischen Problemen führen. Die schon durch Kolonialismus enteigneten Bewohner*innen werden nun im Namen des Naturschutzes aus ihren Lebens- und Ökosystemen vertrieben. REDD+ in Honduras soll bspw. flächendeckend durchgesetzt werden. Mit beim Spiel oder Schaffen eines Marktes für Waldschutzzertifikate sind die Weltbank, UNO, die deutsche GIZ, Privatwirtschaft und Naturschutzorganisationen. Beispiele aus aller Welt haben verdeutlicht, dass REDD+ dazu führen kann, dass Wälder privatisiert, die Landnutzung eingeschränkt und lokale Gemeinden brutalst vertrieben werden. Oft dürfen die Bewohner*innen ihre traditionellen Formen der Landwirtschaft nicht mehr betreiben, weil auf den von ihnen genutzten Flächen Kompensationsflächen eingerichtet wurden. In manchen REDD+/NBS- Projekten werden sie und ihre traditionelle Landwirtschaft sogar als Schuldige von Entwaldung definiert, ihre Flächen “unter Schutz gestellt” und als Ausgleichsflächen für Konzerne genutzt, oft um Emissionen im globalen Norden oder Entwaldung für die industrielle Landwirtschaft (z.B. für Palmölplantagen) auszugleichen. Dabei sollte jeder Person klar sein, dass auf Selbstversorgung betreibende Kleinbäuer*innen im globalen Vergleich zu den Megaunternehmen einen lächerlichen Treibhausgas-Ausstoß haben.

Mit Waldrestaurationsgutschriften können Großunternehmen sich von einer Pflicht freikaufen, nicht zu viel Wald abzuholzen. Eine Gutschrift zählt als Versprechen, dass jemand Anderes an einem anderen Ort einen Hektar „vergleichbares” Waldökosystem renaturiert oder aufforstet. Insgesamt soll das dann genauso viel Wald sein, wie abgeholzt wurde. Die Besitzer*innen oder Käufer*innen von Land mit hohen Grundstückspreisen können also mit der profitablen Abholzung und möglicherweise Bebauung oder Umwandlung in Agrarland fortfahren. Diese Gutschriften sind aber auch zeitlich begrenzt, das heisst, das Land was 10 Jahre aufgeforstet wird, kann nach Abblauf der Gutschrift dann auch wieder abgerodet werden.

Kolonialisierung und der weitergeführte Krieg im Namen des Klimaschutzes gegen Indigene oder Bewohner*innen von noch nicht ausgebeutetem Territorium, zeigt sich an oben genannten Beispiel.

Und wir hier im globalen Norden

Dort wie hier sind es die selben Autoritäten, die jeden Tag zulassen, dass wir allen Regeln gehorchen müssen, unser Leben oft öde ist und sie Profit daraus schlagen. Es sind die Autoritäten, Herrschenden und Großunternehmen, die zusehen, wie jeden Tag der Planet zerstört wird, jeden Tag Tierarten aussterben, Menschen verhungern, zur Flucht getrieben werden, durch Kriege sterben, sich in den Minen (Coltan) zu Tode arbeiten.

Dabei wird der hohe Verbrauch an Energie hier kaum in Frage gestellt, denn grundsätzliche Fragen könnten herrschende Strukturen in Frage stellen. Alle wollen die absolute Mobilität, die Schnelligkeit und Flexibilität in ihren Leben. Dazu benötigt es Energie. Dabei wird das Suchen, Finden und Ausbeuten ihrer Quellen fast nie in Frage gestellt und eher als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Ja die Kohle, die dreckig ist und ja die Atomkraft, die uns eines Tages verstrahlen wird, finden Erwähnung in der Kritik, aber nicht der hohe Bedarf an Energie selbst. Schaut mensch aber wofür Energie aktuell in der Gesellschaft gebraucht wird? Wofür 7,4 Milliarden Tonnen Erdöl aus Bakken Formation in North Dakota oder die 30 Millionen Tonnen Kohle aus der Hambacher Mine erbeutet werden? Hier wird schnell klar: wenn die Herrschenden über die Notwendigkeit von Energie – sei es Kohle, Atom, Gas, Öl oder Wind – sprechen, dann ist es nicht für ein auf gegenseitiger Hilfe beruhendes und selbstbestimmtes Leben. Sondern, damit die Warenproduktion weitergeht, die Kriegsmaschinerie genährt wird und es nicht am Treibstoff der Ausbeutung und Kontrolle mangelt.

Unser Planet ist ein verbundenes System und kann nicht in Einzelstücke zerlegt und verkauft werden. Die Vorstellung von Zerteilung ist eng verknüpft mit der Eroberung und euroamerikanischen Überzeugungen, dass Land besessen werden kann, der Glaube, dass die Welt zerstückelt werden kann und eine verkaufbare Ressource ist und Landbesitz nur gewinnbringend mit ausbeutenden kommerziellen Tätigkeiten verbunden sein kann.

Unser eurozentristisches Verständnis von Eigentum, das wir von kleinauf eingebläut bekommen haben, erfordert von uns Land als etwas von uns Abgetrenntes zu sehen. Es ist aber Teil eines Lebensnetzwerkes mit dem wir alle verbunden sind. Genauso ist unsere eingebläute demokratische Vorstellung von Regierungssystemen eng damit verbunden, Verantwortung füreinander an die Regierung abzugeben, vor allem wenn es um Bedürfnisse oder Schutz von anderen geht. Die Verantwortung unserem Umfeld, unserer Wahlfamilie, unseren Freund*innen gegenüber, wird ausgelagert. Statt unseren hungrigen Nachbar*innen Essen zu geben, schicken wir sie zum Sozialamt, statt unseren geldlosen Mitbewohner*innen die Miete zu erlassen, schicken wir sie zum Jobcenter, wenn es jemandem nicht gut geht, zum*zur Psychiater*in oder unter Medikation. Wenn wir uns nicht für- oder umeinander sorgen können, wie sollen wir also auf die Idee kommen, um den Planeten zu kämpfen. Ohne die einzelnen Bestandteile dieses Planetens, wird er sterben, wie die Organe ohne den Rest des Körpers sterben. Wir können sie nur für kurze Zeit an den Ausbeutungs- und Kompensationsmaschinen am Leben erhalten. Wir müssen uns der Komplexität des Lebens auf diesem Planeten bewusst werden. Was uns vom bestehendem System geraubt wird, ist ein selbstbestimmtes Leben im Hier und Jetzt. Wir müssen unsere Zeit nicht mit der Hoffnung verbringen, dass irgendwelche Politiker*innen à la Luther was verändern. Nicht nur Schule schwänzen! Sondern Schwänzen wir die Zukunft und die Gegenwart, die Andere für uns vorgesehen haben und finden eigene Wege wie Thomas Müntzer – unsere Leben und unseren Planeten selbst und neu zu kreieren!