Weder Rechts noch Links – wir wählen die Revolte

Das Ende der Geschichte

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion glaubten einige Politikwissenschaftler*innen, dass nun das „Ende der Geschichte“ besiegelt wäre. Der Kapitalismus habe durch seinen Sieg über den Ostblock, die Globalisierung der Märkte und seiner fortschreitenden Ausdehnung in die letzten Winkel des Planeten seine Überlegenheit unter Beweis gestellt und der Liberalismus in Form von Demokratie und freier Marktwirtschaft sich als die erfolgreichste und gerechteste Form einer Gesellschaftsordnung erwiesen. Eine solche These schien für Viele in unseren Breitengrade durchaus plausibel. Gerade der westlichen Mittelschicht, die in der Welt der Waren das persönliche Glück zu finden glaubte und als stumpfe Konsument*innen begeistert dem Spektakel huldigte, lag nichts ferner, als das Bestehende in Frage zu stellen. Eine Position, der natürlich auch damals schon eine beeindruckende Ignoranz gegenüber den Schattenseiten dieses Systems beiwohnte. Denn die soziale Absicherung und Unbekümmertheit der Einen, hat schon immer am anderen Ende seinen Tribut gefordert. Weshalb eine solche Erzählung für die Ausgebeuteten, auf deren Rücken dieser Wohlstand geschaffen wurde, vor allem zynisch klingen musste. Geschweige denn, dass sie irgendeine Gültigkeit für den globalen Süden hätte, wo der westliche Lebensstil und die Vorherrschaft des Kapitalismus vor allem eine Fortsetzung kolonialer Bestrebungen bedeutete und für Lebewesen und ihre Umwelt Ausbeutung, Zerstörung und Elend brachte. Und das auch immer noch tut. Heute, drei Jahrzehnte später, ist die Welt eine andere. Es wird kaum noch wer leugnen können, dass wir in ein Zeitalter epochaler Krisen, die ihre Wurzeln in genau diesem kapitalistischen System haben, eingetreten sind. Klimakatastrophe, Pandemie, Krieg, Inflation; Schlag auf Schlag jagt eine Katastrophenmeldung die nächste und Altbewährtes scheint schneller, als es den meisten lieb ist, an Gültigkeit zu verlieren. So gesehen ist hier noch gar nichts zu Ende, außer die Annahme, dass das Bestehende, wie wir es kennen, für immer Bestand haben wird.

Zwischen Volk und Klasse

Die Geschichte hat jedoch auch schon oft gezeigt, dass es fatal wäre, an dieser Stelle darauf zu setzen, dass Krisen und die damit einhergehende Verarmung automatisch dazu führen würde, dass Menschen aufbegehren. Nichtsdestotrotz ist zu beobachten, dass im letzten Jahrzehnt Preissteigerungen, Versorgungsknappheit und gesellschaftliche Umbrüche vielerorts Ausgangspunkt von sozialen Revolten waren und sind. Mit Blick auf mögliche Szenarien auch hierzulande erscheint es sinnvoll, sich mit Merkmalen, welche für viele dieser Revolten charakteristisch sind und wodurch sie sich maßgeblich von denen des letzten Jahrhunderts unterscheiden, zu beschäftigen. Das Auffälligste dabei ist vielerorts die weitestgehende Abwesenheit großer linker Organisationen und Gewerkschaften. Dies ist unter anderem ein Resultat davon, dass mit der Umstrukturierung des Kapitals und des Arbeitsmarktes der letzten Jahrzehnte in der westlichen Welt, die Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung einher ging. Die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer und die Transformation hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft haben nicht nur zu einer Veränderung materieller Grundlagen geführt, sondern als Teil des neoliberalen Projektes auch auf eine Zerstückelung gemeinsamer Werte und Normen abgezielt. Vereinzelung und Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt sind die Folge davon und werden durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung noch weiter verschärft. Eine Klassenidentität, die bis in die siebziger Jahre für Viele noch als gemeinsamer historischer Bezugspunkt existierte und eine wesentliche Rolle bei der Organisierung des Klassenkampfes spielte, ist heute weitestgehend verloren gegangen. Dies hat eine Lücke hinterlassen, die vor allem die Neue Rechte zu füllen wusste, in dem sie Volk, Kultur und Nation anstelle von Klasse setzte und so dem Bedürfnis kollektiver Zugehörigkeit und Werte gerecht wurde. Die Klassengesellschaft hat sich durch diese Entwicklungen natürlich keineswegs aufgelöst, und rechte Seelenfänger*innen haben auch gar kein Interesse daran. Vielmehr sind sie Handlanger*innen des Kapitals und ihr vermeintlicher Widerstand ist nicht mehr als eine konformistische Revolte, die mit einfachen Antworten und Rassismus von den eigentlichen Problemen ablenkt. Weshalb sich der Faschismus in Krisenzeiten für die herrschende Klasse, die Reichen und Mächtigen, auch schon immer als Option angeboten hat.

Links liegen lassen

Nicht zuletzt sind Linke und ihre Gewerkschaften aber selbst an ihrem Scheitern und ihrer Bedeutungslosigkeit in aktuellen Auseinandersetzungen schuld. Jahrzehnte der Sozialpartnerschaft und des Verrats hinterlassen ihre Spuren. Und selbst die vermeintlich Radikalen unter ihnen haben zu Gunsten massentauglicher Positionen die Eigenen so weit entschärft, dass sie kaum noch was vom sozialdemokratischen Linksbürgertum unterscheidet. Viel mehr noch als das, gelingt es ihnen nicht gesellschaftliche Veränderungen zu begreifen und ihre Analysen anzupassen. Sie haben genauso wenig eine Antwort auf den technologischen Angriff und die damit einhergehende Entfremdung wie auf die Zerstörung des Planeten. Der ungebrochene Glaube Vieler an den Fortschritt und in die Wissenschaft kann nur in einer autoritär-technokratischen Misere enden. Beispielhaft dafür ist die erschreckend große Zustimmung zur repressiven Zero-Covid-Politik einiger Staaten unter Linken. Wer auf heutige Krisen mit technologischen Erneuerungen antworten will, verfolgt jedoch ohnehin viel eher das Ziel den Status quo zu retten als mit dem Bestehenden radikal zu brechen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass eine Linke hierzulande bei vielen Themen nur noch als moralischer Reflex auf rechte Positionen existiert. Sie kuscht da, wo es nur geht, vor dem Staat, um sich von diesem abzugrenzen und ist im Handumdrehen bereit ihren Antagonismus aufzugeben, sofern er denn jemals existiert hat, wenn auch nur ansatzweise die Gefahr besteht inhaltlich Überschneidungen mit unliebsamen Milieus zu haben. Das genau dies das Kalkül der rechten Querfrontfans ist, kann die Linke aber nicht begreifen. Welch desaströse Auswirkungen eine solche Haltung auf das gesellschaftliche Kräfteverhältnis hat, haben uns die letzten zwei Jahre während der Covid-19 Pandemie in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Sicher trifft diese Kritik nicht auf alle gleichermaßen zu, die sich linken Werten verbunden fühlen. Das vieles was links gelabelt wird, aber Misstrauen hervorruft oder abgelehnt wird, ist jedoch nur die logische Konsequenz aus diesem Opportunismus.

Jenseits politischer Identitäten

All diese Entwicklungen tragen dazu bei, dass soziale Proteste und Revolten heute vielerorts aus einer nicht genauer zu definierenden Gemengelage bestehen und sich ihre Protagonist*innen nicht in gewohnte Identitäten kategorisieren lassen. Die Annahme, dass Bezeichnungen wie Links und Rechts eine historische Gültigkeit hätten, die sich auf die heutige Situation übertragen ließe, ist in Anbetracht der Ereignisse der letzten Jahre absurd. Das gilt sowohl für die sich spontan entzündenden Revolten der subproletarischen Milieus an den Rändern der Metropolen wie auch für Proteste, die auf die eine oder andere Weise organisiert stattfinden. Da wo, anders als in Deutschland, diese eine gewisse Regelmäßigkeit haben, sind viele Menschen nicht mehr bereit, wie die Schafe hinter irgendwelchen Bannern politischer Lager herzulaufen. Zu oft hat man sich davon vereinnahmen und die eigene Wut durch deren Mediation mit der Macht in vorbestimmte Bahnen lenken lassen. Andere wiederum sind noch nie Teil von Protesten gewesen und orientieren sich daher wenig an Konventionen und gängigen Codes. Aber selbst da, wo diese größtenteils von Menschen frequentiert werden, die durchaus noch empfänglich für politische Beteiligung sind, zeichnen sich oft keine klaren Konturen nach einem klassischen links/rechts Schema mehr ab. Nichts zeigt dies deutlicher als Wahlergebnisse, wo jene die jahrelang ihr Kreuz bei der Linkspartei gemacht haben, heute, ohne mit der Wimper zu zucken, die AFD wählen. Und selbst dies ist wahrscheinlich viel mehr ein Zeichen davon, in welch tiefer Krise sich das politische System allgemein befindet. Was wohl auch die beachtliche Anzahl derer erklärt, die sich erst gar nicht an dem Wahl-Theater beteiligen. Sicher wäre es auch ein Trugschluss zu denken, dass Menschen, die sich aus einem Klassenbewusstsein heraus historisch dem linken Lager zugehörig fühlen, automatisch genauso für andere Unterdrückungsverhälnisse sensibilisiert wären. Daher ist dieses Phänomen auch gar nicht so sehr verwunderlich und überall in Europa zu beobachten. Diese Tatsache wird manche enttäuschen und sie werden sich angewidert von der politischen Inkorrektheit der Straße abwenden. Für alle anderen gilt es, diese Ausgangssituation zu akzeptieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Das heißt nicht, dass wir uns mit bekennenden Rassist*innen und anderen Arschlöchern gemein machen müssen, aber eben auch nicht Bewegungen nach den Maßstäben einer linken Moral ab zu urteilen. Die Gelbwesten in Frankreich sind der beste Beleg dafür. Wenn nun die Bundesregierung einen Wutwinter prognostiziert und sogleich die Rechten als Akteur*innen davon ausmacht, dann folgt das einer Strategie. Und Linke haben mit ihrem Verhalten in den letzten Jahren nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass solch ein Narrativ überhaupt funktioniert. Wenn wir an der Möglichkeit von Veränderung aber festhalten wollen, bleibt keine andere Option, als sich einzumischen. Dabei gilt es auszuhalten, dass Menschen Ansichten haben, die nicht die unseren sind und an denen vieles problematisch ist. Dass die organisierte Linke dabei möglicherweise keine Rolle spielt, kann uns aber herzlich egal sein. Vielmehr ist die Herausforderung, Ideen von Selbstorganisierung und Solidarität jenseits nationaler Zugehörigkeiten und politischer Identitäten, auf der Straße und innerhalb offener Situationen sichtbar zu machen und zu verteidigen, um nicht der Propaganda reaktionärer Kräfte und Faschist*innen das Feld zu überlassen.

Für die Revolte

Den Dualismus der Politik zu verlassen und mit ihrer Logik zu brechen, bedeutet aber nicht mit leeren Händen da zu stehen. Ganz im Gegenteil, es ermöglicht uns, den Blick dahingehend zu erweitern, all unser Handeln und Wirken als Teil eines sozialen Spannungsfelds zu verstehen und der Subversion einen alltäglichen Ausdruck zu verleihen. Dazu braucht es weder ein Programm noch Anführer*innen, die uns erklären, wann und was zu tun ist. Vielmehr wollen wir uns im Hier und Jetzt mit allen verbünden, die mit uns das Bedürfnis teilen, ohne Umwege und Vermittlung für ein anderes Leben zu kämpfen. Auf der Straße und in offenen Versammlungen, hinter den Barrikaden und in den Wäldern. Mit Stift und Papier oder Sabotage und direkten Aktionen. Immer auf die Adern des Systems zielend, die es am Leben erhalten und in der Konfrontation mit jenen, die es verteidigen. Dabei blicken wir auf eine Vielzahl von Revolten, welche zunehmend von einer anti-politischen Tendenz begleitet werden, die keinerlei Interesse an einem konstruktiven Dialog mit den Herrschenden mehr erkennen lassen. Sie sind der lebendige Beweis für das Scheitern des bestehenden Politikbetriebs und Quelle der Inspiration zugleich.

Die Lebensumstände vieler lassen in diesen Zeiten keinen Zweifel daran, wir befinden uns in einem sozialen Krieg, der mit aller Konsequenz von Oben geführt wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob gerade Links oder Rechts an der Spitze thront und die Schalthebel der Macht in den Händen hält. Sie verfolgen dabei stets das Interesse, die eigene Macht zu sichern und die herrschenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Diese Erkenntnis verbietet es uns auch nur eine Spur von Hoffnung und Illusion in dieses System zu haben. Jetzt, wo sich die Krise so offenkundig manifestiert, steht die Geschichte an einem weiteren Scheideweg. Es liegt an uns, sich gegen diese Welt und all das, was sie repräsentiert, zu verschwören und die Revolte zu entfachen.