Desertec 3.0 – grüner Wasserstoff in kolonialer Tradition

Die Krisen, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen, sind die logische Konsequenz eines Systems, das auf Wachstum basiert. Die Politik gibt zwar vor, die Ursachen davon bekämpfen zu wollen, doch tatsächlich verwaltet sie diese bloß und sorgt durch das Beschleunigen von Modernisierungsprozessen in der Wirtschaft dafür, dass gesellschaftliche Umbrüche nicht die Stabilität der bestehenden Machtverhältnisse gefährden. Nichts zeigt dies deutlicher als Maßnahmen, welche zur Abwehr der Klimakatastrophe propagiert werden.

Dabei bleibt nicht nur die Logik des permanenten Wachstums unangetastet, sondern werden auch globale Machtasymmetrien und Abhängigkeiten zwischen der Nord- und Südhalbkugel durch neokoloniale Großprojekte mit grünem Anstrich weiter zementiert und ausgebaut. Beispielhaft dafür ist Desertec 3.0, bei dem Deutschland eine Vorreiterrolle spielt.

Einst angetreten mit der Idee, in der Sahara mittels Solarkraftwerken und Windparks erneuerbare Energie für den unersättlichen Strombedarf Europas zu decken, kam das Projekt nach Kritik an den horrenden Kosten und den kolonialen Konnotationen 2014 zum Stillstand. Aktuell wird es aber in neuem Gewand wiederbelebt, als mögliche Antwort auf die Frage nach grünem Wasserstoff für zukünftige technologische Erneuerungen. Dazu rief die Desertec Industrial Initiative (DII) die MENA Hydrogen Alliance mit Sitz in Dubai ins Leben, die Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor sowie aus Wissenschaft und Forschung zusammenbringt, um eine grüne Wasserstoffwirtschaft in Gang zu bringen. Denn diese gilt für manche Fortschrittsgläubige als die Zukunftstechnologie, welche es ermöglichen soll, den verschwenderischen Lebensstil der westlichen Konsum- und Wegwerfgesellschaft sowie die industrielle Produktionsweise, ungeachtet ihres lebensfeindlichen Potentials, aufrecht zu erhalten. Steigende Energiekosten geben diesem Vorhaben aktuell zusätzlichen Auftrieb.

Der größte Teil der derzeitigen Wasserstoffproduktion erfolgt noch durch die Gewinnung aus fossilen Brennstoffen, was zu hohen Kohlenstoffemissionen führt und daher wenig zukunftsversprechend ist. Grüner Wasserstoff jedoch, der durch das Verfahren einer solarbetriebenen Elektrolyse von Wasser gewonnen wird, gilt als nachhaltig. Dabei pumpt man Strom in eine dünne Wasserschicht, die sich auf der Elektrode bildet. Die Protonen des Wassers nehmen Elektronen auf und lösen dabei ihre Bindungen an den Sauerstoff, es entsteht Wasserstoff. Wie jede Energiegewinnung, welche auf eine industrielle Nutzung abzielt, verbergen sich aber auch hier einige Risiken. Das Offensichtlichste ist unbestritten, dass die Produktion von Wasserstoff mit diesem Verfahren in einer der trockensten Regionen der Erde den dortigen Wassermangel weiter verschärfen, ökologische Folgeschäden mit sich bringen und somit die Lebensgrundlage ganzer Gegenden vernichten könnte.

Geboren wurde die Idee in Deutschland und ausgearbeitet hat sie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Darüber, was die Plünderung von Ressourcen und Rohstoffen auf dem afrikanischen Kontinent bereits an Schaden angerichtet hat, ist man hier nicht nur bestens informiert, sondern es sind mit dem französischen Energieriesen Total und dem niederländischen Ölkonzern Shell zum Teil die selben Player, die schon mit der kolonialen Ausbeutung fossiler Energiequellen des Kontinents zu Reichtum und Macht gekommen sind. Mittlerweile sind über 60 Unternehmen mit dabei, unter ihnen auch viele namenhafte deutsche Konzerne wie Thyssen Krupp, Siemens Energy, E.on, RWE oder Uniper. Sie alle versprechen sich von solchen Großprojekten zur Förderung grüner Energie den Erhalt des eigenen Wohlstandes und hohe Profite.

Die Sahara, in der mittlerweile auch die marokkanische Regierung unter hoher Verschuldung mit Geldern der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank Solarkraftwerke baut, wird dabei stets als unzureichend genutztes Land beschrieben, das aufgrund des Wassermangels und trockener Böden ohnehin nicht anderweitig ausgebeutet werden könne. Dass diese, im Sinne der kapitalistischen Verwertbarkeit, unnütze Böden seit Jahrhunderten Lebensgrundlage von Hirtengemeinschaften sind, wird gekonnt verschwiegen und folgt dem selben kolonialen Umweltnarrativ wie eh und je. Projekte wie Desertec sind daher auch daran interessiert, den politischen Status Quo in den entsprechenden Regionen aufrechtzuerhalten, weil sie von ihren guten Beziehungen zu korrupten Eliten und autoritären Führer*innen profitieren. Denn dies ermöglicht es, Arbeitskräfte auszubeuten, Umweltschäden zu verursachen und lokale Gemeinschaften und kollektiv genutztes Land mit Gewalt zu enteignen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Und nicht zuletzt erhofft man sich in Europa, mit Projekten wie Desertec die lokale Wirtschaft in Nordafrika anzukurbeln, um neue Märkte zu erschließen und sich die sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ vom Hals zu halten, womit auch ganz unverhohlen argumentiert wird.