Manipulation der Sinne

Sucht und Technologie – Teil 2: Der Flow im Dopamin

Immer mehr Menschen leiden an Spiel- und Internetsucht, wobei ein Smartphone beides integriert. Nervosität, Angst und Reizbarkeit sind beobachtbare Folgen, wenn man von seinen Geräten getrennt wird. Wer kennt nicht das Glücksgefühl oder den „Dopaminausstoß“ durch eine neue Nachricht – auch wenn sie uninteressant ist. Wer kennt nicht das nervöse Greifen nach dem Phone – wenn man sich alleine fühlt. Wer kennt nicht das Gefühl endlich zu Hause zu sein und zu daddeln – ohne Sinn. Wer kennt nicht das Gefühl etwas zu verpassen, wenn der Akku leer ist, wer kennt nicht die Hilflosigkeit – wenn das Smartphone auf einmal weg ist? Die Antwort auf diese Fragen ist einfach: Diejenigen, die Abstinenz vom Smartphone üben, kennen diese Gefühle nicht.


Die beschriebenen Reaktionen haben auch Menschen mit Suchterfahrungen. Eine Übernutzung von digitalen Medien kann zu Sucht führen. In den USA verbringen 8-18jährige im Durchschnitt siebeneinhalb Stunden mit digitalen Medien: Chats/Recherche/soziale Netzwerke/Porno/Serien/Onlinespiele/Nachrichten/Videos/Clips/YouTube/Onlineshopping… Das heißt, sie verbringen mehr Zeit vor einem Bildschirm, als zum Schlafen oder anderen sinnlichen Erfahrungen. 250.000 Internetsüchtige und 1,4 Millionen „problematische“ Nutzer*innen wurden 2012 statistisch für Deutschland erfasst, heute dürften es erheblich mehr sein. Folgen von Übernutzung bei jungen Erwachsenen werden bspw. in Korea, wo Internetsucht schon seit in 90ern erkannt wurde, wie folgt verzeichnet: Gedächtnis-, Aufmerksamkeits-, und Konzentrationsschwierigkeiten, die eine emotionale Abflachung und allgemeine Gleichgültigkeit mit sich bringen. Das wird als digitale Demenz bezeichnet. Digitale Demenz führt zu kognitiven Beeinträchtigungen, denn die linke Gehirnhälfte ist überentwickelt, sie ist für rationales Denken, Berechnen und Fakten zuständig, während die rechte Gehirnhälfte, die für Kreativität und Emotionen zuständig ist, unterentwickelt ist. Medien-User*innen setzen in ihrem Gehirn Teile der Steuerzentrale (Stirnhirn) außer Kraft. Attackiert werden speziell diejenigen Subsysteme, die für die Gedächtnisbildung und die kognitiv-emotionalen Leistungen verantwortlich sind. Das kann zum Verlust der Urteilsfähigkeit führen, Angst- und Suchtsyndrom, Burnout und Depression auslösen.

Die Spiel- und Internetindustrie bedient sich einem uns Allem bekannten Flow-Gefühl und den sogenannten Dopaminausschüttungen. Der Flow: Es gibt Gehirnareale, die Funktionen wie Selbstbezogenheit, Reflexion und Grübeln deaktivieren und Gehirnbereiche, die sinnliches Wahrnehmen und Handeln aktivieren. Bspw. erleben Musiker*innen ein Flow-Gefühl bei Aufführungen, Jazzer*innen beim Improvisieren, Künstler*innen beim Schaffen, Workaholics beim Arbeiten, Schauspieler*innen beim Theater, Handwerker*innen beim Hobeln. Man ist ganz bei der Sache und das Gefühl erfordert volle Konzentration auf das Tun. Es ist ein Gefühl der Kontrolle über die jeweilige Tätigkeit den Einklang mit Anforderung und Fähigkeit, bei dem es weder zu Langeweile noch Versagensangst, weder zu Über- oder Unterforderung kommt. Das Gefühl schöpferischer Leidenschaft, der Lust beim Tun bringt uns dazu, herausfordernde Tätigkeiten auszuführen. Der Flow führt dazu, dass wir lernen – beim Spielen, Ergreifen, Erfassen, Erkennen, Wiedererkennen, indem wir Tätigkeiten von Anfang bis Ende durchführen: das Musikstück zu Ende musizieren, das leere Blatt mit den Händen füllen.

Aus der Glücksspielforschung kennen wir viele Mechanismen der Interaktion Mensch und Maschine. Vor allem ist es die Flucht aus dem Alltag, der Süchtige antreibt. Eine interessante Behauptung ist, dass Glücksspielautomaten zwischenmenschlich komplizierte Kommunikationen ersetzen; mit dem Boss, den Maschinen, die uns von der alltäglichen Arbeit entfremden und der kapitalistischen konkurrierenden Gesellschaft. Hier wird das Risiko berechenbar im Gegensatz zum Leben, indem jede Entscheidung eine oft unberechenbare Konsequenz hat. Der fragile Flow beim Spielen sorgt dafür, dass Spieler*innen nicht ihren Erfolg messen müssen, sondern sie können ihren Misserfolg kalkulieren. Jede Störung soll vermieden werden und so nehmen Spielsüchtige Getränkeflaschen mit an den Automaten, damit ihnen Casinoangestellte keine Gratisgetränke anbieten. Sie vermeiden es, große Gewinne auszuzahlen, damit sie ihren Spielfluss nicht unterbrechen müssen. Für den Erhalt des fragilen Flows zogen sich Personen bspw. mehrere Hosen übereinander an, damit sie während über 70-stündigen Spieltouren nicht zur Toilette müssen, Diabetiker brechen wegen Unterzuckerung am Automaten zusammen, bei Nothilfesituationen kommen Sanitäter nicht durch, weil Spielsüchtige ihre Automaten nicht verlassen wollen und im Weg sitzen.

Die Industrie entwickelt Technologien, die von Süchtigen nachgefragt werden, da hier Profit erwartet wird. Die Spieleerfahrung wird durch das Design ermöglicht. Dadurch entsteht eine massive Asymmetrie von Kontrolle und Sucht, von Gewinn und Verlust, Risiko und Belohnung zwischen den Techniker*innen und den Nachfragenden. Wenn wir vom Glücksspiel zu den Smartphones zurückkehren: Diese sorgen mit immer raffinierteren Apps und Designs für aufmerksamkeitsfixierende Informationsverarbeitung und für dauerhafte Unterhaltung. So lotsen auch sie „anfällige“ Menschen in ein Flow-Erlebnis, das den Alltag auflöst und zersetzt. Die Tech-Eliten arbeiten darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit einzelnen Apps so intensiv wie möglich wird. Viele Menschen haben bspw. hunderte Levels «Candy Crush» gespielt und immer mal wieder einen Euro bezahlt, um die nächste Stufe freischalten zu können. Dasselbe gilt für viele weitere Spiele und soziale Netzwerke, die einen Strom von Informationen so anbieten, dass sie zwischenmenschliche Interaktion kalkulierbar machen und sie ersetzen oder simulieren können. Das ist der Grund, weshalb ganze S- und U-Bahnen voller Leute sind, die den eigenen Bildschirm dem gegenüber sitzenden Menschen oder einer Interaktion vorziehen. Das Bedürfnis mittels persönlichem Medienkonsum das Risiko angesprochen zu werden minimieren zu können, ist nicht neu. Neu ist die Beschleunigung und die Intensität. Wenn ich mein Smartphone zücke, lese ich nicht nur, sondern sehe auch, was andere lesen, diskutiere mit ihnen über das Gelesene, werde von Apps ans Lesen erinnert und mit kleinen Spielen, Strategien und Statistiken motiviert weiterzulesen. Meine Umwelt verschwindet um mich herum.

…Coming soon…
Teil 3: Einige Gedanken für den Detox

Teil 1: Digitalpakt mit dem Teufel gibts hier

 

Feuer auf Amazon-Baustelle

Auf einem Gelände in Achim bei Bremen, wo derzeit ein neues Amazon-Logistikzentrum entsteht, ist am 1. August ein Baukran abgebrannt. Dabei entstand ein Sachschaden von mehreren 100 000 Euro. Amazon ist aufgrund seines Geschäftsmodells, das auf der maximalen Ausbeutung von Arbeitskräften beruht und eine allumfassende Kontrollgesellschaft anstrebt, aber auch wegen der Aufwertung von Stadtteilen durch den Konzern, weltweit immer wieder Ziel von wütenden Protesten. So wurde, während der Revolte in den USA, in Redlands, Kalifornien ein Logistikzentrum niedergebrannt und in mehreren Städten die neuen Selbstzahlstores „Amazon-Go“ geplündert und zerstört. Auch in Berlin werden im Zusammenhang mit dem geplanten Edge-Tower an der Warschauer Brücke, der Amazon als Mieter vorsieht, immer wieder Fahrzeuge, Paketstationen oder Niederlassungen des Konzerns zum Ziel von Attacken.