You will find me if you want me in the garden

Vorschläge für gemeinsames Gärtnern

In dieser Stadt leben viele Menschen dicht gedrängt und doch vereinzelt nebeneinander. Trotzdem bleiben die Beziehungen zwischen uns, auch nach jahrelanger Nachbarschaft, oft oberflächlich. Außer, wenn es Konflikte gibt, da wird meist mehr investiert, um sie zu eskalieren und festzufahren. Gerade in diesen Zeiten, in denen sich abzeichnet, dass sich verschiedenste Krisen verschärfen und unsere Lebensbedingungen sich verschlechtern werden, ist es wichtig Wege zu finden aus der städtischen Vereinzelung auszubrechen und gemeinsame Handlungsfähigkeit zu entwickeln. die Unabhängig ist von staatlicher und technologischer Vermittlung.

Die Stadt ist klar strukturiert in Arbeiten, Konsumieren, Wohnen, Verkehr und andere Einrichtungen, wie Schulen, Kinderheime, Kirchen, Krankenhäuser, Knäste. Zwischen dem Beton ein paar „Grünanlagen“; kurzgeschorenes Gras, ein paar vereinzelte Bäume und Bänke, verwaltet von der Stadt. Alles ist nach den Gesichtspunkten der Kontrolle und Verwertbarkeit ausgerichtet, der sich nur sehr wenige Orte entziehen. Aber in den unbeobachteten Ecken dieser sterilen Betonwelt breitet sich die unendliche Vielfalt der Tiere, Pflanzen und Pilze lustvoll und maßlos aus. Denn es gibt auch Baulücken und Zwischenräume, baufällige Gebäude und ihre Hinterhöfe, Brachen und wildbewachsene Stellen. An einigen wenigen Orten können Menschen miteinander sein, ohne dass ihre Beziehungen zueinander von Besitz- und Tauschverhältnissen vorgegeben sind.

Ein Mittel, um sich solch einen solchen Ort anzueignen und mit Leben zu füllen, ist der Garten (manchmal auch Gemeinschafts-, Guerilla- oder auch Urbaner Garten genannt). Garten ist ein sehr alter Begriff, der eigentlich auf die „Kultivierung“, und damit auch Unterwerfung von Pflanzen und Tieren durch den Menschen hindeutet. In diesem Text geht es um Vorstellungen von Garten und gärtnern, die eher den Konzepten der Besetzung oder (temporären) autonomen Zone nahe stehen. Also Situationen ermöglichen, in der herrschende Gesetze und Ordnungen (zeitweise) und lokal außer Kraft treten, Autoritäten ihre Macht verlieren und neue, nicht vorhersehbare Begegnungen und gemeinsame Erfahrungen möglich werden. Der Garten als Ort, an dem wir direkte Berührungspunkte zur lebendigen Umwelt finden und gleichzeitig im Austausch miteinander unsere Ideen und Beziehungen stärken können.

Ich denke, dass dieses Mittel bezüglich seines Potentials, kapitalistische Herrschaftsformen herauszufordern, unterschätzt ist. Vielleicht kommt es daher, dass bestimmte Formen des Gärtnerns sehr präsent sind, wie die Spießigkeit der Kleingartenvereinsmeierei, die im Kleinen wieder nur die Besitzverhältnisse, Vereinzelung und Parzellierung dieser Gesellschaft reproduziert. Oder die Vereinnahmung und Verwertung des Urbanen- oder Guerilla Gartens zur Verkaufsförderung und Werbung mit irgendwelchen hippen „grünen“ Lifestyles. Aber auch, und das verhält sich etwas subtiler, die „legalen“ Gemeinschaftsgärten, die zwar voll nice sind, aber schlußendlich mindestens staatlich legitimierte Eigentumsverhältnisse mittragen.

Aus meiner Sicht lässt sich das vermeiden, indem zum einen der Fokus auf der Auswahl von Orten liegt, die man sich für ein Projekt aneignet, also, in der Regel, rechtswidrig besetzt. Und das Ziel nicht einzig die „Legalisierung“ und damit der Appell an den Staat und das Sichern des eigenen (kollektiven) Eigentums ist. Ich meine damit nicht, dass eine Legalisierung ausgeschlossen werden muss, sondern, dass ein Projekt, das von Anfang an darauf ausgerichtet ist, sich in gewisser Weise selbst entschärft.

Darüber hinaus finde ich es wichtig, dass Menschen dort möglichst frei sind, sich an dem Projekt zu beteiligen, sich zu entfalten, zu experimentieren und miteinander auszutauschen. Natürlich braucht es für ein gemeinsames Miteinander Absprachen. Trotzdem macht es auch Sinn möglichst wenig Hierarchien vorzugeben. Denn in einer Welt, die von Kontrollstrukturen, Verboten und Gesetzen durchzogen ist, finde ich es spannender, einen möglichst freien Raum zu schaffen, anstatt als erste Amtshandlung ein Selbstverständnis festzulegen und neue Verbote/Regeln für den „Szene“ Raum zu definieren. Aber das ist auch nur meine Perspektive. Du hast vielleicht ganz andere Vorstellungen davon, was in deinem Garten wachsen soll.

Im Prinzip eignen sich alle möglichen Orte für die Wiederaneignung. Selbst kleinste Nischen, Baumscheiben, Parkplätze, Hinterhöfe, Dächer, Baulücken und andere Flächen können genutzt werden. Man kann einen Einkaufswagen mit etwas Plastik auskleiden, mit Erde befüllen, bepflanzen und einen mobilen Garten bauen (eignet sich zur Not auch ganz gut als Barrikade). Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Es kommt ganz auf die eigenen Wünsche und Ideen an; will ich ein Versteck für Treffen meiner engsten Freund*innen, einfach nur etwas Gemüse anpflanzen, einen offenen Gemeinschaftsgarten oder irgendwas dazwischen?

Wenn erst mal der Ort da ist kommt schnell die Frage auf: woher die benötigten Materialien nehmen? An dieser Stelle in den Laden zu gehen und die Dinge zu kaufen finde ich ziemlich uninteressant. Den Vorschlag, nichts zu kaufen und alles selbst zu machen und irgendwie zu besorgen finde ich spannender, weil das auch wieder neue Möglichkeiten mit sich bringt, sich gegen die herrschenden Verhältnisse zu positionieren. Das meiste Zeug liegt ohnehin auf der Straße herum; Möbel, Holz, alte Regale, die zu Hochbeeten umfunktioniert werden können etc.

Wer Lust auf ein bisschen Nervenkitzel hat, kann die benötigten Baumaterialien, Blumenkübel, Werkzeug und Gartenzwerge von dort einsammeln, wo sie im Überfluss vorhanden sind. Beispielsweise können Geranien aus dem Schrebergarten mit Deutschlandfahne (die dann auch direkt entsorgt werden kann), oder ein paar schöne große Blumentöpfe aus dem Villenviertel gemopst werden. Im Baumarkt findet sich praktisches Werkzeug, welches in einem günstigen Moment entwendet werden könnte. Der nervige, überteuerte Hipster Co-working Space im Nachbarkiez hat vielleicht ganz schöne Sitzmöbel im Angebot…

Ein direkter Zugang zu Wasser ist auf Dauer sehr praktisch, kann aber auch überbrückt werden, in dem man regelmäßig mit etwas Gießwasser vorbei schaut. Wenn die Erde an dem gewählten Ort irgendwie unbrauchbar ist oder der Boden aus Beton besteht, kann Erde besorgt und in Behältern angepflanzt werden. Gemüse anzupflanzen, besonders in freistehenden Behältern, benötigt eine gewisse Zuwendung, gießen, hegen und pflegen. Das hört sich vielleicht nach viel Arbeit an, für etwas Gemüse, das ich im Supermarkt für ein paar Euro kaufen kann. Ist es auch. Für mich ist es eine seltene und wertvolle Gelegenheit, mit dem eigenen Bezug zur lebendigen Umwelt zu experimentieren und nicht-entfremdete Arbeit zu erfahren. Nahrung und Natur nicht als Objekte, die konsumiert werden, wahrzunehmen, sondern mich selbst als Teil davon zu begreifen.

Der Garten kann Basis für ein direkteres Leben sein, das sich der Zurichtung durch Mediation, Repräsentation und Abstraktion unseres Daseins im techno-kapitalistischen System entzieht. Einen Ausbruchsversuch aus diesem Herrschaftssystem zu wagen, bedeutet für mich, eigene Reflexe zu Besitz, Hierarchien und Herrschaft zu hinterfragen. Es bedeutet den Reflex zu überwinden, erst irgendwen um Erlaubnis zu fragen bevor ich etwas mache, wie z. B. ein brachliegendes Grundstück oder unbewohntes Haus mit Leben zu füllen. Zu experimentieren, wie ich selbstbestimmt nach meinen Bedürfnissen und gleichzeitig im Wechselspiel mit der Selbstbestimmtheit der Menschen um mich herum handeln und die Qualität unserer Beziehungen stärken kann.

Eine wichtige Erfahrung der letzten Jahre in dieser Art von Projekt war, dass das Einrichten irgendeiner Form von virtuellem Kommunikationskanal (Chatgruppe, Emailverteiler etc.) zwar erst mal als nützlich für die gemeinsame Koordination erscheint, aber auch große Nachteile hat, die meist übersehen werden. Konkret war es so, dass durch die Informationen und den Austausch online der Eindruck entstand am Projekt beteiligt zu sein, ohne vor Ort sein zu müssen. Die Vernetzung online hat also genau das Gegenteil davon bewirkt, was eigentlich das Ziel war; statt sich zu treffen und direkt miteinander auszutauschen, ist vieles in der Distanziertheit der technologisch vermittelten Kommunikation untergegangen oder wurde gar von ihr blockiert. Daher die Empfehlung diese Art der Kommunikation von Anfang an zu vermeiden. Die, die wirklich Interesse an dieser Art von Projekt haben, werden es einfacher haben, sich vor Ort zu organisieren und jene, die sowieso nur ein weiteres Onlineprojekt suchen, können das Projekt nicht behindern.

Wenn wir unser Gartenprojekt für Andere öffnen und nicht nur allein oder mit den engsten Verbündeten dort muckeln, können wir die Vereinzelung und soziale Isolation, die uns umgibt, angehen. Wir haben die Möglichkeit, uns über unsere Ideen auszutauschen und sie gleich in die Praxis umzusetzen. Dadurch können wir die Beziehungen zueinander intensivieren. Es wird Konflikte geben, denn nur so lässt sich die eigene Konfliktfähigkeit wieder stärken.

Je offener das Projekt ist, desto schneller und intensiver wird man sich wohl mit Eigentumsfragen und Besitzansprüchen auseinandersetzen müssen. Der radikale Garten ist kein Ponyhof sondern ein Projekt, das im besten Fall Herrschaftsverhältnisse herausfordert. Das heißt, dass es immer das Risiko bspw. einer gewaltsamen Räumung gibt. So bald es eine gewisse Öffentlichkeit für das Projekt gibt, werden auch Vereinnahmungs-, Befriedungs- und andere Zerstörungstaktiken von Politiker*innen, Investor*innen und Bürokrat*innen nicht lange auf sich warten lassen. Aber all das, die Konflikte um das Infragestellen der herrschenden Ideologie dieser Gesellschaft, bietet auch die Möglichkeit eigene Vorstellungen praktisch auszuprobieren und zu verbreiten, z. B. Ideen der Autonomie und Selbstorganisation. Vorstellungen davon, dass man keine Bullen braucht, um Konflikte zu lösen, dass Menschen die eigenen Beziehungen und Leben nicht ständig technologisch oder politisch vermitteln lassen müssen, dass wir individuell und kollektiv in unseren Beziehungen zueinander und mit Solidarität stark und handlungsfähig sind.

Zwar finde ich es wichtig, hier und da strategisch zu denken und das eigene Handeln daran auszurichten, was die Möglichkeiten sind, aber gleichzeitig möchte ich es vermeiden nach irgendeiner Utopie oder „besseren“ Zukunft zu streben, denn auch diese Ziele lenken vom Wesentlichen, vom hier und jetzt ab. Der Garten ist sicher kein Ausweg aus diesem Herrschaftssystem, aber er kann ein Anfang sein, für einen Angriff auf die techno-kapitalistische Ödnis in der wir leben. Er kann ein Anfang sein für ein selbstbestimmtes, starkes Miteinander, das der Krisengesellschaft etwas entgegensetzen kann.